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Sie fielen vom Himmel

Sie fielen vom Himmel

Titel: Sie fielen vom Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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und legte sich über sie … schützend, tapfer, mit geschlossenen Augen und zusammengebissenen Lippen. Es schlug neben ihnen ein, die Splitter surrten durch die Trümmer … da sprang er wieder auf, riß die Mädchen empor und rannte mit ihnen über den Prioratshof. Er sah aus den Schutthalden Arme und Beine herausragen … er sah, wie ein Greis seine rechte Hand auf den blutenden Stumpf seiner linken Hand drückte und mit irren Augen durch die Einschläge torkelte. »Mamma!« schrie das Mädchen. »Dov'è Mamma?« »Sta zitto!« Der Junge riß das Mädchen wieder in den Schutt. Eine Bombe hieb vor ihnen auf die Treppe und wirbelte die Marmorstufen durch die Luft. Als er wieder aufsprang, blieb das Mädchen liegen, das andere, das bisher stumm gelaufen war, stumm vor Entsetzen und Nichtbegreifen. »Steh auf!« schrie der Junge. Er zerrte das Mädchen an der Hand. Als es sich nicht rührte, bückte er sich und drehte es herum. In der Brust stak ein zackiger Splitter, unterhalb des rechten Brustbeins.
    »Giulietta!« schrie der Junge. »Mio Dio! Giulietta!« Er riß das Mädchen empor, warf den schlaffen Körper über seine Schulter und nahm wieder die zitternde Hand des kleinen Mädchens, das noch immer Mamma rief. Er lief mit ihnen über den Hof und kletterte über die Berge der zerfetzten Gebäude. Ein Laienbruder kam ihnen entgegengerannt, er nahm das Mädchen von der Schulter des Jungen und rannte zurück zur Treppe der Krypta, die halbwegs erhalten und gefüllt war mit weinenden, betenden, stöhnenden, verletzten Menschen. Der Junge stolperte ihm nach, das weinende kleine Mädchen hinter sich herziehend. Als von der Treppe sich ihnen Arme entgegenstreckten, fiel er ohnmächtig auf die Stufen und wurde in die Krypta gezogen.
    Auf den Stufen zum Hofe der Wohltäter, acht Stufen oberhalb der blutenden Julia, der beide Füße abgerissen waren, saß ein älterer Mann mit weißen Haaren, die im Winde flatterten wie eine weiße Fahne. Mit irren Augen, wahnsinnig geworden durch den Einbruch des Grauens in seine Seele, winkte er den einschlagenden Granaten zu und hob beschwörend die Hand. »Questo posto è preso!« schrie er mit lauter, heller Stimme. »Cameriere! Mi porti mezzo litro di vino rosso! Presto! Presto!« Dabei streckte er den Arm aus, als wolle er das halbe Liter Rotwein in die Hand nehmen. Ein hell surrender Splitter durchtrennte ihm den Unterarm … er brüllte auf, warf sich auf die Treppe, rollte die Stufen hinab, an Julia vorbei, auf den Zentralhof und starb. Er erstickte, weil er mit dem Gesicht nach unten in den Schutt rollte und schreien wollte und sich mit dem Kopf immer tiefer in die Trümmer wühlte.
    In den Kellern verbanden die Mönche die Verletzten, die aus der Hölle gerettet worden waren. Ein Laienbruder, der eine Feuerstille ausnutzte und durch die Trümmer rannte, brachte Julia mit. Sie wurde in das Zimmer des Erzabtes getragen, von dem Sanitätsmönch, der Dr. Pahlberg assistiert hatte, an beiden Beinen abgebunden und zugedeckt.
    Diamare segnete sie. Er wußte, daß sie sterben mußte. Er wußte, daß sie alle untergingen in dieser Vernichtung, die vom Himmel fiel, vom Himmel, den sie baten, gnädig zu sein.
    Als die zweite Welle kam und 100 t Bomben in die Schuttberge warf, als die Artillerie noch einmal aufbrüllte, als die schweren 24-cm-Geschütze das Kloster umdrehten und die Leichen nach oben hoben, die vorher unter den Quadern lagen, war ein Teil der Zivilisten aus dem Kloster geflüchtet und rannte durch das Artilleriefeuer den Saumpfad nach Piedimonte hinab.
    Mit ihnen rannten einige Mönche und Laienbrüder … sie schwenkten weiße Fahnen und warfen sich auf die Erde, wenn die Flugzeuge niederstoßend sie mit ihren Bordwaffen beschossen … Aber sie schlugen sich durch … sie erreichten das Tal, ein Haufen von Hunderten elender, schmutziger, verwundeter, blutender und jammernder Frauen, Kinder, Greise, einiger jüngerer Männer und betender Mönche. Oben im Kloster aber blieben Erzabt Diamare und sechs Priester und Laienbrüder, einige Hundert Flüchtlinge aus Cassino, zerschunden, verwundet und ohne Hoffnung, den nächsten Tag zu erleben. Sie drängten sich auf der breiten Eingangstreppe, während Diamare und die Mönche in der Kapelle der Pietá in der Torretta standen und den Sterbenden noch einmal die Absolution erteilten.
    Am Nachmittag zischte die letzte Granate in die Trümmer, kreiste das letzte Flugzeug über dem rauchenden Klosterberg. Monte Cassino war nicht mehr.

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