Sie fielen vom Himmel
Meter sind die Gurkha heran. Ich vermute, sie kommen in der Nacht bis an die Klostermauer! Das heißt Nahkampf, Weimann. Wissen Sie, wie ein Nahkampf mit Indern ist? Der ist lautlos, mit langen Messern, Spaten und Gewehrkolben. Eine Biesterei ist das!«
Weimann nickte. »Maaßen und Müller 17 dinieren«, sagte er und schüttelte noch immer lächelnd den Kopf. »Sie sitzen hinterm MG wie in einer Bar und delektieren sich an Schokolade. Ganz jovial und gemütlich. Und vor ihnen krabbeln die Gurkha auf den Felsen. Ich möchte wissen, was die aus der Ruhe bringen kann.«
»Drei Tage ohne Fressen und drei Monate ohne Frauen – Sie sollen sehen, wie verdreht dann die Kerle sind!« Hauptmann Gottschalk reichte Weimann sein starkes Nachtglas hin. »Sehen Sie mal hinüber. Es sieht so aus, als wollten die Gurkha übernachten.«
Vor den Indern lagen die Einschläge der deutschen Granatwerfer. Major v. Sporkens Werfergruppe hämmerte in die Felsen und trieb die Gurkha in die Deckung der zerklüfteten Hänge. Dazwischen klapperten die Maschinengewehre der 3. Kompanie. Vereinzelt, Munition sparend für einen größeren Ansturm, bellten die kleinen Gebirgsgeschütze auf und zauberten helle Einschlagwolken zwischen die Truppen des Generals Freyberg. Jetzt hämmerte es auch seitlich von Gottschalk … ratatatata … ratatatata.
Weimann nickte zufrieden. »Feldwebel Maaßen und Müller 17. Sie haben ihre Schokolade aufgegessen und widmen sich wieder der Schlacht! Wie nett!«
Gegenüber, auf einer Felsnase, tauchte eine weiße Fahne auf und wurde geschwenkt. Eine Fahne mit einem roten Kreuz. Sanitäter!
»Sie wollen die Verwundeten noch vor der Nacht wegbringen.« Hauptmann Gottschalk sah über seinen Abschnitt hinweg. Die MGs schwiegen … schlagartig, als die weiße Fahne auftauchte. Theo Klein erhob sich sogar und beugte sich über seine Deckung. Wenn keiner schießt, so ist ein Krieg ganz interessant. Er sieht aus wie in der Wochenschau. Die Inder krochen aus ihren Verstecken hervor. Deutlich sah man, wie sie durch die Hänge stiegen und ihre Verletzten auf zusammenklappbaren Tragen oder in Zeltbahnen wegtrugen.
Major v. Sporken kam durch die Trümmer zu Hauptmann Gottschalk und winkte schon von weitem ab, als Gottschalk vorschriftsmäßig Meldung in strammer Haltung machen wollte. »Keine Verzierungen abbrechen, Gottschalk«, sagte v. Sporken leutselig. »Wir liegen alle im gleichen Dreck und haben alle die gleiche Chance des schönen Heldentodes! Bloß keine Kasernenluft – das wäre schrecklicher als ein neues Klosterbombardement!« Er sah sich um. »Haben Sie Verwundete?«
»Nein, Herr Major. Auch keine Toten.«
»Bei den Pionieren sind drei Leichtverletzte. Das ist alles.« Er sah hinüber auf die krabbelnden Gestalten der Inder, die noch immer ihre Verletzten wegtrugen. Auf der Felsnase schwenkten die beiden Sanitäter die weiße Fahne mit dem roten Kreuz. »Dort scheinen wir ja mächtig aufgeräumt zu haben. Dachten die vielleicht, von uns sei alles pulverisiert?« v. Sporken lachte leise. »Anscheinend hat der gute Freyberg noch nichts mit Fallschirmjägern zu tun gehabt.«
Er wollte noch etwas sagen, aber ein Anblick nahm ihm die Sprache. Er starrte hinüber zu einem Trümmerhaufen und schüttelte heftig mit dem Kopf.
»So etwas gibt's?« sagte er verblüfft. »Gottschalk, wer sind diese Männer?«
Hauptmann Gottschalk war dem Blick v. Sporkens gefolgt und erstarrte.
»Unteroffizier Küppers und Stabsgefreiter Klein, Herr Major!«
»Stabsgefreiter!« v. Sporkens Gesicht überzog ein Lächeln. »Natürlich ein Stabsgefreiter.«
In ihrem MG-Nest saßen Küppers und Klein und hatten vor sich, umrahmt von Steinen als improvisiertem Herd, ein Feuerchen gemacht. Über diesem Feuerchen stand ein kleiner Kessel, aus diesem Kessel qualmte und dampfte es, und ein leichter Fleischgeruch zog bis zu v. Sporken und Gottschalk hinüber. Damit die heilige Tätigkeit nicht gestört wurde, hatte Theo Klein, die indischen Sanitäter nachahmend, ein Taschentuch an eine Latte gebunden und als Friedensfahne seitlich seiner Stellung in die Trümmer gesteckt.
Heinrich Küppers rührte gemütlich in dem Kessel, als Major v. Sporken in ihrer kleinen Burg auftauchte. Theo Klein knallte die Hacken zusammen … er sah über die Schulter v. Sporkens hinweg das Gesicht Gottschalks und ahnte, daß irgend etwas wieder nicht richtig war.
»Prost, Mahlzeit!« meinte v. Sporken freundlich. »Was gibt's denn?!«
»Danke, Herr Major.«
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