Sie fielen vom Himmel
Bissen in den Mund, ehe er den neuen Gurt durch das Schloß zog. Der Kessel war schon halb leer. Theo Klein hatte einen Mordshunger.
»Ist er zufrieden?« schrie er Küppers über die Schulter hinweg zu. »Und haste das Salz mitgebracht?!«
»Nein!« Küppers warf sich neben Klein und klappte einen neuen Munitionskasten auf. Er schob den Kessel mit den Nudeln weg und atmete tief auf. »Wir haben im Kloster den ersten Toten. Der junge Bratzke.«
Theo Klein zuckte mit den Schultern. »Das ist kein Grund, das Salz zu vergessen. Ohne Salz schmeckt der ganze Fraß wie muffiges Mehl!«
Vor ihm machte es in den Steinen ping, und ein Querschläger surrte über sie hinweg. Sie lagen in voller Deckung.
»Das habe ich schon lange gemerkt«, sagte Theo Klein. Er angelte sich den Topf von der Brüstung und aß schnell ein paar Löffel. »Die haben da drüben Scharfschützen liegen. Paß mal auf!«
Er nahm das Rührholz von der erloschenen Feuerstelle, setzte seinen Helm darauf und schob ihn über die Deckung hinaus. Ping! machte es. Und noch dreimal ping! Der Helm pendelte hin und her. Grinsend zog ihn Theo Klein wieder herunter. Dort, wo normalerweise der Kopf im Helm saß, war er durchschlagen … zweimal … kreisrunde Löcher, nach innen wild gezackt.
»Die können schießen, was?« Theo Klein stülpte den Helm auf den Kopf. »Müssen uns direkt gegenüberliegen. Mensch, Heinrich, die putzen wir jetzt weg wie die Krähen.« Er schob sich vorsichtig hinter das MG und schoß wild in die Gegend, ehe er den Kopf hinter das Visier hob und den zerklüfteten Abhang vor sich abtastete.
Neben ihm, drei Meter weiter seitlich, flatterte im Abendwind traurig das schmutzige Taschentuch, die Fahne eines halbstündigen Friedens.
»Wenn's dunkel ist, hole ich es mir wieder«, meinte Theo Klein und schoß auf eine huschende Gestalt. »Es ist der letzte Lappen, den ich hab' …«
In dem großen Keller unter dem Kolleg des zerstörten Klosters hatte Stabsarzt Dr. Pahlberg das Notlazarett eingerichtet. Militärisch hieß es nur Verbandsplatz, aber er ließ vorsorglich einen schmalen, zusammenklappbaren Feldoperationstisch mitbringen, einige Sterilkocher, sein chirurgisches Besteck, Klammern, Nadeln, Catcut, Seide, Arterienklemmen, Sonden, Sägen, Spreizer, Scheren, scharfe Löffel, Zangen und vor allem genügend Verbandmaterial, Äther, Strophantin, Traubenzucker in physiologischer Lösung, Adrenalin, Novocain, Pantocain, Morphium, Tetanus und sogar 50 Kompressen. Sanitätsunteroffizier Krankowski war mit ihm auf den Berg gekommen und richtete in dem Keller das Lazarett ein … eine kleine Zelle, in der der Erzabt während des Bombardements Schutz gesucht hatte, wurde der OP … das Licht bekam er durch vier große Scheinwerfer, die von einer Batterie gespeist wurden. Sie sollten nur im Notfall angezündet werden, denn wenn die Batterien leer waren, hatte man wenig Hoffnung, sie wieder auffüllen zu lassen.
Für Notoperationen und kleinere Eingriffe hatte man drei Azetylenlampen, drei Petroleumlampen und sieben Trockenbatteriescheinwerfer zur Hand. Im übrigen sollten die meisten Behandlungen in den weiten Kellern stattfinden und draußen in dem Vorraum der Treppe, wo genug Tageslicht hineinfiel, um Verbände anzulegen und Splitter oder Projektile in Lokalanästhesie zu entfernen.
Die ersten, die in das Lazarett von Monte Cassino eingeliefert wurden, waren der Kopfschuß und der sterbende Bauchschuß. Man hatte sich abgewöhnt, die Verwundeten mit Namen oder Dienstgraden zu bezeichnen … wie in großen Kliniken hieß es: Was macht der rechte Oberarmschußbruch? Heute nacht starb der Lungenschuß. Die Unterschenkelfraktur rechts muß noch einmal geschient werden. Die Art der Verletzung wurde so zum Namen, das Leid des einzelnen zu einer Identifizierung seiner Persönlichkeit. Der Individualismus starb … es gab nur noch Fälle, Gradbezeichnungen der Verwundungen, sorgfältig untereinander abgestuft wie etwa: Der Oberarm mit der Radialislähmung oder der Unterarmschußbruch mit der Medialis. So wußte man genau, wer gemeint war. Es war eine Vervollkommnung der Technisierung des Leides. Dr. Pahlberg untersuchte den Jungen mit dem Bauchschuß. Er war hoffnungslos. Der ganze Leib war mit Blut gefüllt … er war innerlich verblutet.
Pahlberg dachte an seinen Kampf um den Mann mit dem zerrissenen Unterleib … er hatte ihn trotz aller Bedenken Dr. Heitmanns einem Transport mitgegeben, der nach Rom fuhr. Sogar einen langen
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