Sie fielen vom Himmel
Kameraden um und schnappt Ihnen den Lazarettnachschub weg!«
Dr. Pahlberg bot Major v. Sporken eine Sitzgelegenheit an. Zwei übereinandergestapelte Kisten, in denen das Verbandmaterial verpackt gewesen war. »Mein Sessel, Herr Major. Bitte!«
»Komfortabel! Einfach luxuriös! Ich kann nur auf zerborstenen Säulenstümpfen sitzen oder auf Granatenkisten.« v. Sporken setzte sich und sah zu Dr. Pahlberg auf, der lang und schmal vor ihm stand. »So wie Sie habe ich mir immer den letzten Idealisten vorgestellt.«
»Der Schein trügt, Herr Major.«
»Nennen Sie mich bitte Sporken. Major ist ein Titel, redlich erwartet in 17 Jahren Jawoll-Sagens.« Er betrachtete Dr. Pahlberg ein wenig kritisch. »Wieso trügt der Schein?«
»Weil ich genauso von der Sinnlosigkeit unseres Hierseins überzeugt bin wie Sie auch, Herr von Sporken. Aber wir halten aus, einerseits getreu dem Fahneneid, andererseits, weil wir einfach müssen, um nicht als Deserteur oder als Feigling vor dem Feind oder als Wehrkraftzersetzer – man hat da so schöne Worte gefunden – an die Wand gestellt zu werden! Als drittes kommt bei mir hinzu, daß ich als Arzt immer erst dann gehen kann, wenn alle anderen gegangen sind, denn der letzte kann mich rufen, und ich muß da sein!« Dr. Pahlberg hob die schmalen Schultern. »Wenn Sie das Idealismus nennen – bitte! Ich nenne es anders.«
»Und wie, bitte?«
»Nennen wir es nicht Pflichtgefühl. Das ist eine abgedroschene Phrase. Sagen wir – es ist einfach das Trägheitsgesetz im Menschen, sich nicht loszumachen von übernommenen Dingen, die man dummerweise als den ›Sinn des Lebens‹ betrachtet.«
»Hm.« v. Sporken sah auf seine schmutzigen Hände. »Das stößt vor in das Reich der großen Philosophie! Wir sind eine merkwürdige Bande, Herr Doktor Pahlberg. Wir krallen uns hier in die Trümmer von 1.500 Jahren abendländischer Kultur, die andere vernichtet haben, wir kämmen die Höhen ab und fegen die Menschen in den Tod, wir leben das Leben eines Landsknechts und benehmen uns nach moralischen und gesellschaftlichen Gesichtspunkten wie Rotz am Ärmel – und wir plaudern in einer Kampfpause fröhlich über die Philosophie der Psyche. Sind wir etwa doch Idealisten? Ich werde den Verdacht bei uns beiden nicht los.«
»Zumindest sind Sie es, Herr von Sporken. Sie haben die Klosterschätze gerettet. Unter Lebensgefahr! Sie haben sich damit unsterblich gemacht.«
»Reden Sie nicht solchen Blödsinn, Doktor!« v. Sporken erhob sich von seinem Kistensessel. »Ich habe nur nach der Notwendigkeit gehandelt, einige Werte zu retten, wo sowieso alle Werte dieser Menschheit mißachtet werden. Das ist keine große Tat, sondern ein bloßes Auflehnen gegen die Verrohung, der wir anheimfallen!« Er trat an den Operationstisch heran und stützte sich auf den Metallrahmen. »Wenn ich mir meine Männer da draußen betrachte … der eine schießt mit dem MG die Gurkha von den Hängen, und der andere kauert daneben und frißt seelenruhig Nudeln mit Rindfleisch. Die Kaltblütigkeit des Soldaten … das Gesicht des Frontkämpfers … Sie fürchten Feuer nicht und Teufel … so schreibt man dann in den Kriegsberichten. Man glorifiziert eine Stumpfheit, einen Tod der Gefühle, eine völlige Entpersönlichung des Menschen. Und wiederum muß es so sein, Herr Doktor. Wo kämen wir hin, wenn wir empfindsam wären? Wie könnten Kriege gewonnen werden, wenn die Soldaten blaue Blümchen sammelten und Schmetterlinge jagten?«
»Fragen wir anders: Warum müssen Kriege sein?«
»Warum! Sie können fragen, warum?! Lernen Sie geschichtlich denken, Herr Doktor! Womit wollte man die Seiten der Geschichtsbücher füllen ohne Krieg? Die Kulturtaten reichen nicht aus. Aber die Grausamkeit und der Tod von Millionen ergeben immer einige dicke Kapitel, vor allem, wenn man diesen oder jenen als Verantwortlichen bezeichnen und anklagen kann. Ich habe mich einmal darüber mit unserem Ib unterhalten, dem Major von der Breyle. Offizier, wie aus dem Reglement geformt. Er sagte mir einfach und schlicht: ›Kriege sind geopolitische Notwendigkeiten!‹ Bumm! Da haben wir's! Haushofers Lehre in der Potenz! Einfacher geht's nicht.« v. Sporkens Stimme war voller Ironie. Er zeigte auf den toten Jungen mit dem Bauchschuß, der noch immer auf der blutigen Zeltplane lag. »Auch dieser Junge da ist ein Streiter geopolitischer Notwendigkeiten. Was glauben Sie, was seine Mutter, sein Vater sagen würden, wenn Sie ihnen schrieben: Ihr Sohn fiel tapfer vor
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