Sie haben mich verkauft
ich heiße Serdar«, sagte er und feuerte eine Salve von Fragen auf Türkisch auf mich ab: wie alt ich sei, wo in der Türkei ich gelebt hätte, ob ich Istanbul kannte und so weiter. Es kam mir so vor, als wollte er mich irgendwie auf die Probe stellen, also beantwortete ich alle seine Fragen, und meine Antworten schienen ihn zu erfreuen. Er grinste mich an, und der Ausdruck in seinen Augen war das Freundlichste, was ich auf meiner langen, fürchterlichen Reise zu sehen bekommen hatte. Ich beschloss, mein Glück zu versuchen und ihm auch eine Frage zu stellen, eine, auf die ich die Antwort schon lange unbedingt wissen wollte. Ich hatte das Gefühl, wenn ich die Antwort nicht bald bekäme, würde ich wirklich noch wahnsinnig werden.
»Wo sind wir hier?«, fragte ich.
»In Skutari, Albanien.«
Mir drehte sich der Magen um. Ich wusste nicht einmal, wo dieses Land lag.
Serdar sah mich an. Irgendetwas an meinem Gesicht schien sein Mitleid zu erwecken. »Willst du etwas essen?«, fragte er freundlich.
»Ja, bitte.«
Er übersetzte uns die Speisekarte. »Sucht euch aus, was ihr mögt«, sagte er.
Wir bestellten unser Essen, und ich konnte es kaum erwarten, das Lamm mit Reis hinunterzuschlingen, das ich mir ausgesucht hatte. Aber als das Essen gebracht wurde, blieb die Tür zu unserem Zimmer offen, so dass wir in den Raum gegenüber schauen konnten, und plötzlich vergaß ich meinen Hunger.
In dem Raum auf der anderen Seite des Flurs wimmelte es von Mädchen – dicke, dünne, kleine, große, blonde, dunkle –, manche saßen auf den Betten und aßen Obst, während andere rauchten und sich unterhielten. Sie schienen alle dieselbe Sprache zu sprechen, verstanden einander, und in mir mischten sich Angst und Einsamkeit, als ich sie betrachtete. Dafür waren also diese Spione: damit die Waren aufgeteilt werden konnten.
Ich bekam Angst, als ich die Mädchen anstarrte, sehnte mich aber gleichzeitig danach, bei ihnen zu sein. Vielleicht war ja eine Freundin darunter. Immer wieder spähte ich hinüber und hoffte, dass wenigstens eine aufschauen und sich ihr Blick mit meinem treffen, dass sie mir mit einem Lächeln oder einem Kopfnicken zu verstehen geben würde, dass ich nicht allein war. Aber keine sah her.
Wir aßen; es war die erste anständige Mahlzeit seit Tagen, und ich spürte, wie ich allmählich wieder zu Kräften kam.
»Schön, du isst ordentlich«, sagte Serdar lächelnd. Als er aufstand, traten seine Begleiter schützend an seine Seite. Er sah mich an, starrte mir direkt in die Augen. »Ich bin bald zurück«, meinte er.
Die Tür ging zu, und ich konnte nicht mehr in den Raum gegenüber sehen. Stattdessen legte ich mich aufs Bett und dachte darüber nach, was wohl als Nächstes passieren würde.
Ein paar Stunden später kam Serdar mit sauberen, nach Seife riechenden Kleidern zurück. »Komm«, sagte er.
Ich ging mit ihm nach unten in eine Bar, in der zwei Bodyguards mit Pistolen standen und auf uns warteten. Es war ein sehr schöner Raum mit kunstvoll verzierten Möbeln und schwarzen Tischen, auf denen rote Tischdecken lagen. Nebenan war ein Restaurant voller Männer. Wir setzten uns an einen Tisch, und Serdar bestellte uns Kaffee und Zigaretten. Ich war nervös, weil er mich herausgepickt hatte. Es musste doch Hunderte von Frauen geben, aus denen er sich eine wählen konnte. Also wieso gerade ich?
»Ich sehe Ihnen an, dass Sie nicht gern hier sind«, sagte er sanft. Die Bodyguards saßen ein Stückchen von uns entfernt, unser Gespräch konnten sie nicht mit anhören. »Ihren Augen habe ich das angesehen, gleich als ich Sie kennenlernte.«
»Ja«, sagte ich gedehnt. Ich musste vorsichtig sein. Es war offensichtlich, dass Serdar wichtig war, und ich wollte ihn nicht kränken.
»Aber Sie sind nicht wie die anderen«, fuhr er fort. »Die anderen wollen hier sein, sie wissen, wohin sie kommen, keiner hat sie gezwungen. Die haben alle Probleme, die sie lösen müssen.«
Ich sah ihn an. Ich konnte nicht glauben, was er da sagte. Auch wenn manche Frauen zu wissen glaubten, worauf sie sich einließen, konnten sie doch nichts von den Waffen wissen, von den Schlössern an den Türen und den Spionen, durch die man sie beobachtete. Sie waren Gefangene. Wer würde das schon freiwillig auf sich nehmen?
»Sie kommen aus der Türkei«, sagte er. »Ich habe Familie und Freunde da. Lassen Sie uns über die Türkei sprechen.«
War das der Grund dafür, dass er mir näherkommen wollte?, fragte ich mich. Erinnerte ich ihn
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