Sie haben mich verkauft
für ein toller Mann er sei, spürte ich, dass er allmählich glaubte, ich hätte tatsächlich Gefühle für ihn. Ich wusste bloß, dass es besser für mich war, wenn er das dachte. Ich hatte geglaubt, Roberto könne mir irgendwie helfen, aber jetzt wusste ich, dass das keiner konnte.
Cavalese erwies sich als Fehler.
Es war kein Ort für Straßenmädchen, und es gab nicht genug Freier. Ich hatte immer nur zwei oder drei Männer pro Nacht, und den Rest der Zeit musste ich still dastehen, während Teenager mir Beleidigungen entgegenschrien.
Ich versuchte, gar nicht erst hinzuhören, aber das war schwer. Wenn die Menschen einen nur lange genug verabscheuen, glaubt man schließlich, sie haben recht. Ardy, die Männer und auch die anderen Leute, die einfach nur an mir vorbeigingen, sagten mit ihren Blicken dasselbe: »Nur du hast Schuld daran, dass du hier bist, sonst keiner. Du bist dumm, ekelhaft und innerlich genauso hässlich wie äußerlich.«
Hier in dieser kleinen Stadt kam es mir allmählich so vor, als würde ich wirklich noch verrückt werden. Seit der Vergewaltigung schien es mir, als führte ich jeden Tag zwei unterschiedliche Existenzen – eine in meinem Körper und eine außerhalb. Da gab es den Sturm, den ich mir nicht anmerken ließ, und die Ruhe, die ich der Welt zeigte; es gab die Frau und den Roboter.
Meistens hatte ich meine Gefühle tief in mir verschlossen, so gut verdrängt wie irgend möglich, an eine Stelle, an der sie mir nicht wehtun konnten. Aber wenn ich allein war, fühlteich nur Schuld und Kummer. Wie hatte ich zulassen können, dass mir das geschah? Wann würde ich meine geliebten Kinder wiedersehen? Bestrafte mich Gott für etwas, das ich getan hatte? War ich wirklich ein so schrecklicher Mensch, dass ich dieses Leben verdiente?
Allein im Bad, drehte ich die Dusche auf, dann ballte ich die Hände zu Fäusten und stopfte mir Handtücher in den Mund, wenn ich schrie und schrie. Ich starrte auf meinen Körper, und ich weinte vor Ekel, wenn ich an all die Männer dachte, die sich an mir bedient hatten. Ich nahm eine Dusche nach der anderen, um den Schmutz wegzuwaschen, aber das gelang mir nie. Das war meine Strafe.
Inzwischen gab es Momente, die mir beinahe Angst machten. Ich war mir sicher, den Verstand zu verlieren, wenn ich das Wasser abdrehte, mich auf den Boden setzte und einfach ins Leere starrte oder mit mir selber redete und versuchte, an dem Menschen festzuhalten, der ich einmal gewesen war.
»Du musst stark sein. Du bist eine erwachsene Frau. Nur noch einen Schritt, nur noch einen Tag länger ... Bald wird alles vorbei sein. Du darfst nicht aufgeben, denn für den Tag musst du bereit sein.«
Es gab andere Momente, in denen ich still in den Spiegel starrte – ich verzog den Mund, schlug mich, so dass sich blaue Flecken auf der Haut zeigten, riss mir Haare aus oder kratzte mich. Ich fühlte mich beinahe wie unter Drogen und wollte einfach nur schlafen und mit allem aufhören. Nie mehr aufwachen.
Einmal war ich so verzweifelt, dass ich dachte, dieses Leben könne nichts mehr wert sein, wo es doch so voller Schmerzen war, und deshalb versuchte ich, mich umzubringen, indem ich mir eine Strumpfhose um den Hals band und das andere Ende an eine Deckenlampe knotete. Aber die Strumpfhose hielt nicht, nachdem ich den Stuhl unter mir weggekippt hatte, und ichfiel lachend auf den Boden. Ich war so schmutzig, dass nicht einmal Gott mich wollte.
Denk an deine Kinder, sagte eine Stimme in mir, wenn ich solche Gedanken hatte. Du musst zurück zu ihnen nach Hause. Du musst Pascha wieder eine gute Mutter sein. Wie sollen sie weiterleben, wenn du sie im Stich lässt? Du musst stark sein.
Dann klopfte immer Ardy an die Tür, und ich wusste, dass ich zu ihm musste. Ich zog mich an und warf einen Blick in den Spiegel, um meine Gesichtszüge unter Kontrolle zu bringen. Dann lächelte ich meinem Spiegelbild zu und knipste mich wieder an, so als legte ich einen Schalter in mir um, damit ich innerlich wie tot wurde.
Die Wochen vergingen. Ich arbeitete jetzt seit gut sechs Monaten. Als es Weihnachten wurde und die Italiener feierten, musste ich ständig an zu Hause denken. In der Ukraine feierten wir nicht auf diese Weise, aber ich wusste, es war eine ganz besondere Zeit für Kinder, und das machte mich traurig.
Es war der 13. Januar 2002, und ich stand auf einer menschenleeren Straße. Kein Mensch weit und breit zu sehen ... die ganze Stadt war ruhig, mit Ausnahme der Bar gegenüber.
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