Sie haben mich verkauft
einen Kuss von mir. Sag ihnen, ich liebe sie.«
»Sie sind bei Tamara. Du kannst sie da anrufen, wenn du noch ein bisschen Geld hast.«
Sie gab mir die Nummer, und ich legte den Hörer auf, nahm ihn dann schnell wieder hoch. Pascha in seiner Schule konnte ich nicht anrufen, aber wenn es die Möglichkeit gab, mit Sascha und Luda zu sprechen, musste ich sie ergreifen, selbst wenn es nur kurz war.
»Hallo?«, sagte eine Kinderstimme, als der Hörer abgenommen wurde.
»Sascha?«
»Ja.«
Plötzlich kam wieder Leben in mich. Nach all den Monaten, in denen ich innerlich wie tot gewesen war, fing meinHerz wieder an zu schlagen, und ich dachte, es würde zerreißen. Ich wollte so gern durchs Telefon greifen und meinen Sohn an mich drücken, mir ins Gedächtnis rufen, dass ich wirklich existierte, dass ich Saschas Mutter war und nicht nur eine gesichtslose Hure.
»Hier ist Mama«, sagte ich.
»Mama?«
»Ja, mein kleiner Liebling. Ich bin es.« Im Hintergrund hörte ich jemanden rufen. »Ist das Luda?«
»Ja, sie spielt draußen. Wo bist du bloß gewesen, Mama?«
»Ich habe gearbeitet, mein Liebling. Es tut mir leid, dass ich dich nicht angerufen habe. Aber ich bin sehr beschäftigt gewesen.«
»Wann kommst du nach Hause? Wirst du zu Neujahr hier sein?«
»Ich weiß nicht, Sascha. Ich habe gerade in einem neuen Job angefangen und muss arbeiten, damit ihr es warm habt und ich euch Essen und Geschenke kaufen kann.«
»Aber ich will, dass du nach Hause kommst, Mama.«
»Das werde ich ja auch, mein Liebling. Sobald es geht.« Ich ballte die Hand zur Faust. Ich durfte nicht weinen. »Ich muss jetzt Schluss machen, mein Liebling. Ich habe nicht genug Geld, um noch länger zu telefonieren.«
»Aber rufst du bald wieder an?«
»Natürlich. Nächstes Wochenende.«
»Ich hab dich lieb, Mama.«
»Ich hab dich auch lieb.«
Dann war die Leitung tot, und ich hätte am liebsten geschrien. Überall um mich herum waren die Geister aus Robertos Leben – seine Frau, die Liebe zu ihr, die er inzwischen nur noch spürte, wenn er eine Hure bei sich hatte –, und obwohl meine Kinder lebten, waren sie doch genauso unerreichbar.
Ich spürte eine Hand auf meiner Schulter.
»Du kannst nächstes Mal wieder telefonieren, wenn du kommst«, sagte Roberto sanft. »Und dann schicken wir auch wieder mehr Geld.«
»Danke«, sagte ich und versuchte, meine Tränen hinunterzuwürgen.
Mein Herz war schwer, als ich ins Wohnzimmer ging, um meinen Mantel zu holen. Robertos Zuhause war so warm – er war der Einzige, der mich in all diesen langen Monaten wie eine richtige Frau behandelt hat. Mir wurde ganz übel, wenn ich an Ardy dachte, der da draußen auf mich wartete, und an die Straßen, auf denen ich bald wieder stehen würde.
Aber als ich Robertos Wohnungstür hinter mir zumachte, zwang ich mich, mich an dem Hoffnungsschimmer festzuhalten, der jetzt in mir war. Roberto hatte gesagt, er wolle mir noch einmal helfen. Sein Versprechen war wie ein warmes Leuchten in mir, als ich in den Wagen stieg.
»Wo ist das Geld?«, fuhr Ardy mich an, als ich mich neben ihn setzte.
»Hier«, sagte ich und gab es ihm.
Er sagte kein Wort, während er die Geldscheine zählte und sie sich dann in die Tasche steckte, ehe er den Motor anließ.
Ich machte die Augen zu und lehnte meinen Kopf an. Ich wollte mich an jede Einzelheit von Saschas Stimme erinnern, an die Rufe von Luda, die draußen spielte. In ein paar Tagen schon würde ich das wieder hören. Roberto hatte gesagt, er wolle mir helfen, und ich wusste, er würde sein Versprechen halten. Der Hoffnungsschimmer flackerte ein bisschen höher in mir auf. Jetzt hatte ich ein Geheimnis, etwas, das Ardy nie erfahren würde, und ich würde die Stunden zählen, bis Roberto wieder nach mir verlangte.
Wir kamen ins Hotel und stiegen die Treppe hinauf. Ich wollte mich in die Dunkelheit legen, um meine Erinnerungen noch einmal auszukosten. Aber als ich die Zimmertüraufmachte, sah ich, dass es leer war. Unsere Koffer standen neben dem Bett. Mir wurde ganz kalt.
»Was ist denn hier los?«, fragte ich und drehte mich zu Ardy um.
»Wir verschwinden«, fuhr er mich an. »Es hat eine Polizeirazzia gegeben. Jetzt ist es hier zu gefährlich für uns.«
Sofort bekam ich es mit der Angst. Polizisten hatte ich erst einmal gesehen, kurz nach unserer Ankunft, als sie mich gefragt hatten, was ich denn machte, als ich da so auf der Straße stand. Ich hatte ihnen erzählt, dass ich auf einen Freund wartete, und sie hatten
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