Sie haben sich aber gut gehalten!
Du hast was auf dem Herd vergessen.» Meine Stimme klingt beinahe hysterisch.
Seelenruhig wendet sie sich um. «Haben wir Katzenfutter, Liebchen?»
«Katzenfutter?» Fassungslos starre ich sie an. Ist sie jetzt komplett gaga? Das Haus brennt ab, und sie möchte Katzen füttern? Hat sie nicht für einen Cent schlechtes Gewissen wegen der Beinahe-Katastrophe?
«Ja, Katzenfutter. Ich habe einen Igel gefunden, als ich Schnittlauch schneiden wollte. Schau doch mal!» Aufgeregt gestikuliert sie mit den Armen. «Das kleine Stacheltier sieht total abgemagert aus. Vielleicht ist seine Mutter überfahren worden, und jetzt hat der Kleine keine Familie mehr. Wir müssen ihn retten.»
Ein Igel?
Katzenfutter?
Sie
ist
übergeschnappt!
«Wie wär’s mit einem Igelhäuschen?», schlage ich sarkastisch vor.
«Nicht nötig», winkt sie ab. «Ein Pappkarton tut’s für den Anfang auch.»
Nichts gegen Igelschutz, und ich besorge auch gern eine Jahresration Katzenfutter, und im Keller findet sich vermutlich ein passender Karton. Aber muss sie deshalb alles um sich herum vergessen? Hätte ich die Pfanne nicht rechtzeitig entdeckt – ich mag mir gar nicht ausmalen, was geschehen wäre. Frustriert verziehe ich mich. Es hat wohl doch keinen Zweck, sich aufzuregen, und mir wird auch langsam kalt.
Fröstelnd begebe ich mich wieder nach oben. Als ich in einen dunkelblauen Jogginganzug und ein Paar Hausschuhe schlüpfe, schießt mir plötzlich ein schrecklicher Gedanke durch den Kopf. Ob das die ersten Anzeichen für Alzheimer sind? Das wäre jedenfalls eine Erklärung für Lottes Vergesslichkeit. Allerdings nicht für ihre durchgeknallte Art. Sprunghaft und leicht verrückt war sie schon immer.
Mir fällt ein, wie sie Charlie nach bestandenem Abitur für eine Kreuzfahrt begeistern wollte. Keine Traumschiffreise, wo rüstige Adiletten-Opas es nochmal krachen lassen und Jagd auf ondulierte Omas machen. Nein, das fand die flippige Hippie-Oma todlangweilig. Für sie kam nur etwas richtig Extravagantes in Frage. Etwas in der Art wie in Agatha Christies
Tod auf dem Nil
. Sie wollte sich mit ihrem Enkel als blinder Passagier auf einem «Bananendampfer» einschmuggeln. Zu meiner Erleichterung war Charlie gerade frisch verliebt – sonst hätte er sich womöglich verführen lassen.
Mich kann sie aber nicht einwickeln. Mein Entschluss steht fest. Ich werde ihr die Wohnung in Johns Haus so schmackhaft machen, dass sie einfach einwilligen muss. Nur ihr Auszug kann verhindern, dass sie hier alles in Schutt und Asche legt.
Unten im Flur erwartet mich Lotte mit ernster Miene. Ihre Laune hat sich offensichtlich verdüstert. Schweigend presst sie die türkisfarbene Mappe an ihren üppigen Busen und blickt mich ernst an.
Ob sie schon etwas ahnt?, frage ich mich, als sie mir in die Küche folgt. Während ich dem Kühlschrank ein paar Lebensmittel entnehme, versuche ich es mit Ablenkung. «Wie geht’s dem Igel?»
«Ach, dem habe ich ein Eigelb gegeben und ihm ins Ohr geflüstert, dass er morgen wiederkommen kann», antwortet Lotte beiläufig und wedelt dann mit der Mappe knapp vor meiner Nase herum. «Was ist denn da Interessantes drin?»
Ich nutze die Gelegenheit, den Ordner an mich zu nehmen, und mustere sie fragend. «Du hast noch nicht reingesehen?» Schwer zu glauben. Neugierig, wie sie ist, hat sie garantiert einen Blick riskiert.
«Geht mich doch nichts an», behauptet sie achselzuckend. Aber angesichts ihres verkrampften Gesichtsausdrucks würde sogar ein Blinder die Lüge erkennen.
«Es ist eine Überraschung», deute ich an und drücke ihr das fertige Tablett mit Essen in die Hand. Die Mappe klemme ich mir unter den Arm und lotse Lotte ins Wohnzimmer an den Esstisch. Mal sehen, für wen von uns beiden das Energiefeld sich positiv auswirkt.
Jetzt ist Fingerspitzengefühl gefragt. Denn etwas mulmig ist mir schon. Auch wenn ich keine Golden-Girls- WG mit ihr gründen möchte, soll sie nicht das Gefühl haben, aus dem Haus geworfen zu werden. Dabei würde ich mich schäbig fühlen. Sie ist immer noch die Großmutter meiner Kinder.
«Vollkorntoast?», frage ich, als wir uns gegenübersitzen, und stecke zwei Scheiben in das Gerät.
«Mach’s doch nicht so spannend», drängelt Lotte. Sie schaufelt zwei Löffel Zucker in ihre noch leere Tasse und schielt dabei verstohlen auf die neben mir liegende Mappe. «Es geht doch um mich, oder?»
Wir fixieren uns prüfend. «Um dich und die werdenden Eltern.» Beim Teeeinschenken spüre ich,
Weitere Kostenlose Bücher