Sie haben sich aber gut gehalten!
mein Auto steige. Ich bin geschieden und niemandem Rechenschaft schuldig. Leider sind meine Probleme durch den Besuch bei John noch nicht endgültig gelöst. Mit etwas Glück ist es bis zu meiner Unabhängigkeit aber nur noch ein kleiner Schritt. Genau genommen ein klärendes Gespräch – das ich mit Lotte führen muss. Es wäre übertrieben zu behaupten, dass ich mich auf diese Unterhaltung freue. Aber mit Hilfe der türkisfarbenen Mappe schubse ich das blaue Monster ganz behutsam aus dem Haus. Möglicherweis löst die Aussicht auf eine eigene Wohnung und mehr Privatsphäre ja auch Begeisterung bei ihr aus. Letztlich war es doch Volkers Idee, seine Mutter bei mir einzuquartieren. Und vielleicht hat sie ja nur zugestimmt, um ihn nicht zu belasten. Mütter tun so was, sogar unkonventionelle wie Lotte. Um Marie und Charlie mache ich mir keine Gedanken. Junge Leute wohnen viel lieber allein als unter familiärer Aufsicht.
Zu Hause angekommen, schließe ich vorsichtig die Haustür auf.
Es ist zwar erst kurz nach acht, aber Lotte könnte vor dem Fernseher eingeschlafen sein, und schlafende Schwiegermonster soll man nicht wecken. Möglicherweise wäre sie dann sauer auf mich, denkbar schlechte Voraussetzung für ein konstruktives Gespräch. Lieber verschiebe ich die Aussprache auf morgen.
Um verräterisches Absatzklackern zu vermeiden, streife ich meine Schuhe schon im Windfang ab. Doch als ich vorsichtig auf die erste Treppenstufe trete, erschreckt mich ein lautes kehliges: «Hahaha! Hahaha! Hahaha!»
Es kommt aus dem Wohnzimmer.
Nach ein, zwei Sekunden Pause ertönt das vergnügte Gegacker erneut.
Was ist denn hier los? Feiert Lotte eine Orgie? Etwa mit meinem Vater!? Ich lausche in die Stille, höre aber keine Stimmen.
Vorsichtshalber mache ich mich durch Rufen bemerkbar – man weiß ja nie. «Lotteee?»
«Hier bin ich, Liebchen!», erschallt die Antwort.
Ich lasse meine Schuhe fallen, stelle die Handtasche ab, nehme aber den Ordner mit. Zögernd betrete ich den Raum und bleibe sprachlos stehen.
Der sich mir bietende Anblick übertrifft meine blühendste Phantasie. In einem kunterbunten Micky-Maus-Schlafanzug, das rosa Haar mit einer grünen Schleife dekoriert, thront Lotte im Schneidersitz auf unserem antiken Mahagoni-Esstisch.
Als sie mich erblickt, lacht sie wieder lauthals los. «Hahaha! Hahaha! Hahaha!»
Vor Schreck fällt mir die Mappe aus der Hand. Ich weiß nicht, ob ich auch lachen oder lieber schreiend wegrennen soll. «Was machst du denn da?», frage ich schließlich, als ich mich gefangen habe.
«Lachyoga! Musst du unbedingt mal probieren. Damit übersteht man den schlimmsten Tag», antwortet sie und holt erneut Luft. «Hahaha! Hahaha! Hahaha!» Anschließend legt sie abermals eine Atempause ein und strahlt mich mit großen Kinderaugen an.
«Um diese Zeit? Und auf dem Esstisch?» Mein Ton ist um einige Nuancen zu vorwurfsvoll, aber ich kann mich kaum noch beherrschen.
Lotte entknotet ihre Beine, rutscht von ihrem Podest herab und kommt auf mich zu. «Die Uhrzeit ist mir doch schnuppe. Hier herrscht das beste Energiefeld im ganzen Haus. Ungeheuer positiv!»
«Auf dem Tisch?» Verwundert frage ich mich, ob sie mitten in der Nacht auch noch alle Fenster und Türen aushebelt, damit ihr Karma frei fließen kann.
Sanft lächelnd schüttelt sie den Kopf. «Nein, auf dem Platz, auf dem er steht», präzisiert sie. «Aber ohne Hilfe kann ich das Monstrum ja nicht wegrücken, also bin ich einfach obendrauf gestiegen. Übrigens habe ich an diesem Ort schon als Kind gerne gespielt.»
«Gespielt?», wiederhole ich fassungslos und sammle die herausgefallenen Wohnungsexposés zusammen. Meine entspannte Stimmung ist mit einem Schlag verflogen. Ich fühle mich erschöpft wie nach einem dreiwöchigen Frühjahrsputz, begebe mich zum Sofa und lasse mich in die Kissen fallen.
Lotte folgt mir und mustert mich von oben herab. «Und du, hattest du einen vergnüglichen Abend?», fragt sie.
«Was?» Ertappt zucke ich zusammen und spüre, wie ich rot werde.
«Warst du nicht mit diesem Makler verabredet?» Sie legt den Kopf schräg und sieht mich durchdringend an.
Eine Sekunde lang bin ich versucht, gleich von meinen Plänen für sie zu erzählen. Aber dann würde Lotte mich bestimmt wieder als Egoistin bezeichnen. «Ich hab noch nicht zu Abend gegessen.» Träge erhebe ich mich. «Möchtest du mitessen?»
«Ja, gern, eine Kleinigkeit.»
An der Küchenschwelle erwartet mich die nächste Überraschung,
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