Sie kamen bis Konstantinopel
Zeitalters zu sein, und die Sehnsucht nach ihrer verlorenen Heimat, die unerreichbar weit jenseits des Horizontes lag. Zuletzt saßen sie nur noch schweigend da, in Gedanken versunken, bis Urso unvermittelt aufstand. »›Eine gute Botschaft aus fernen Landen ist wie kühles Wasser für eine durstige Kehle‹, sagt der weise Salomo«, bemerkte er schmunzelnd, »ich muss jetzt wieder zurück zu meiner Arbeit.«
***
Einen Tag nach der Wintersonnwende schallten auf einmal Stimmen durch den Hof. Schwerfällig erhob sich Pelagia von ihrer Liege und schlurfte zum Fenster. Ihr Bauch wölbte sich jetzt stark, immer öfter spürte sie die Bewegung darin, dieses zarte Zappeln, und ihr plump gewordener Körper fiel ihr zur Last. Sie sehnte die Geburt ebenso herbei, wie sie sich davor fürchtete. Im Hof erspähte sie eine kleine, verschleierte Frau, der Daud dabei half, aus dem Sattel des niedergeknieten Kamels zu steigen, und die er anschließend ins Haus geleitete. Eine Viertelstunde ungeduldigen Wartens mochte vergangen sein, als sie endlich Schritte hörte und er in der Türe stand. Sein Turban war vom Regen durchweicht und sein Mantelsaum mit Dreck bespritzt, doch ein strahlendes Lächeln verlieh seinen sonst harten Zügen eine seltene Weichheit. Mit wenigen Schritten war er bei ihr und nahm sie in die Arme.
»Du siehst wunderbar aus, meine Gazelle«, befand er.
»Ach Daud«, seufzte Pelagia und lehnte ihren Kopf an seine Schulter. »Wir beide wissen, dass das nicht stimmt. Ich bin plump und hässlich, ich fühle mich schwach und …«
»Nein, du bist und bleibst für mich die schönste Frau der Welt. Lass mich nur die Kleider wechseln und den Schmutz der Reise abwaschen, dann komme ich zu dir. Mit einer Überraschung!«
Eine gute Stunde später betrat er erneut ihr Gemach, in dem die Glut zweier Holzkohlebecken wohlige Wärme verbreitete. Er war in ein langes Seidengewand gehüllt, in der Hand trug er ein Kästchen aus schwarzem Ebenholz. Als er es ihr hinhielt, sah sie, dass auf der Oberseite ein Stern aus eingelegtem Elfenbein schimmerte. »Nimm, es ist für dich.«
Sie klappte langsam den Deckel auf. Darin glänzte ein goldener Armreif aus gedrehten Ringen, deren Mitte jeweils eine Taube zierte – mit einer einzigen Ausnahme.
»Sieh hier«, sagte Daud mit einem breiten Lächeln und wies auf ein kleines Kreuz. »Euer Nasranizeichen!«
»Danke!« Pelagia nahm gerührt den schweren Armreif und streifte ihn sich über das linke Handgelenk. »Das ist ein wunderbares Geschenk, aber …« Sie strich nachdenklich über die fein gearbeiteten Vögel, dann über das Kreuz, und sah Daud an. Seine scharfen Augen wirkten jetzt milde, auch wenn sein Gesicht von den Anstrengungen der Reise gezeichnet war und die wulstige Narbe bleich aus der geröteten Haut hervorstach. Zögernd fuhr sie fort.
»… aber ihr Sarazenen bekämpft uns. Bist du nicht ein Feind meines Glaubens?« Kaum hatte sie den Satz vollendet, wurde es ihr bewusst, dass sie zum ersten Mal die Religion, die sie in ihrer Jugend stets abgelehnt hatte, als die ihre bezeichnete.
Daud setzte sich zu ihr auf die Liege, nahm ihre Hand in die seine und schüttelte den Kopf. »Der Islam ist der Feind des Irrtums, nicht der Irrenden. Allah brachte seine Botschaft bereits den Juden über Moses und den Nasrani über Isa, den ihr Jesus nennt. Aber die Rabbiner und Priester verfälschten sein Wort. So sandte Allah als letzten den Propheten Mohammed, gepriesen werde sein Name, um durch den Koran seine Lehre rein zu verkünden.«
»Wieso verfälscht?«, fragte Pelagia verwundert. »Stimmt es also, was viele Christen behaupten, dass euer Glaube eigentlich der gleiche sei wie der unsrige?« Sie verstand nicht viel von den theologischen Unterschieden, über die sich gerade hier im Osten die Priester der verschiedenen christlichen Glaubensrichtungen so erbittert stritten, und hielt sie samt und sonders für sinnlose Spitzfindigkeiten. Aber jetzt, da sie über das Kind mit diesem fremden Mann auf immer verbunden sein würde, suchte sie fast verzweifelt nach möglichen Gemeinsamkeiten.
»Nun, es gibt sicher viel Verbindendes«, lächelte Daud geduldig und strich ihr sanft über das Haar, »darum heißt es in der fünften Sura: ›Wahrhaftig, du wirst finden, dass unter allen Menschen die Juden und die, welche Allah Götter zur Seite stellen, den Gläubigen am meisten Feind sind, und wirst finden, dass den Gläubigen diejenigen, welche sprechen Wir sind Nasrani, am
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