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Sie kamen bis Konstantinopel

Sie kamen bis Konstantinopel

Titel: Sie kamen bis Konstantinopel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank S Becker
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sie in Iliya abzuholen, wie die Sarazenen Jerusalem nannten. Pelagia, die stark zugenommen hatte, nun beim Gehen noch mehr hinkte und sich alleingelassen fühlte, bat Sergios, Urso zu rufen.
    »Ich weiß nicht, Herrin, ob sich das ziemt«, entgegnete der Diener mit seiner kläglichen Knabenstimme. »Ein Mann im Haram …«
    Die Frau stutzte ungläubig, dann lachte sie herablassend. »Das lass ruhig meine Sorge sein. Gehorche ganz einfach meinen Befehlen!«
    »Aber …«
    »Bist du schwerhörig?« Mit einer Handbewegung scheuchte sie ihn weg. »Los, worauf wartest du?«
    Kurze Zeit später saß ihr Urso gegenüber, nachdem sich Sergios unter missbilligenden Blicken zurückgezogen hatte, und wärmte sich die Finger über dem Kohlebecken. Naserümpfend betrachtete Pelagia seine schmutzigen Nägel, dann erkundigte sie sich, wie es ihm ergangen war.
    Der lockenköpfige Mann zuckte mit den Schultern. Da hier niemand seine Geschicklichkeit beim Verfertigen von Fässern benötigte, war er dazu eingeteilt worden, die niederen Arbeiten im Haus zu verrichten – Latrinen leeren, Abfälle wegtragen und Botengänge erledigen. Dabei, hier hellte sich seine Miene auf, hatte er einen alten Küchensklaven getroffen, der einige Häuser weiter Dienst tat, neben Volkslatein auch Griechisch sowie Arabisch konnte und der gerne bereit war, ihm gegen kleine Hilfsdienste diese Sprachen beizubringen. Mit wachsender Begeisterung sprudelte er seine neu gelernten Worte heraus, wobei er hemmungslos die Sprachbrocken mischte, so dass Pelagia unfreiwillig in Gelächter ausbrach.
    »Magst du mir von deiner Heimat erzählen?«, fragte sie ihn, einer plötzlichen Eingebung folgend.
    Urso wurde wieder ernst, nickte wehmütig und ließ seine Gedanken zurückwandern, zurück zu seinem Dorf, zu den vielen Sorgen und den kleinen Freuden der Bauern. Zu den Wintern, in denen die Bäche unter einer Eisschicht dahingluckerten, zum Frühjahr, wenn die Sonne auf dem Schnee glitzerte, der sich allmählich in die Senken zurückzog, um für die ersten Schneeglöckchen Platz zu machen. Zu den Lämmern, Kälbern und Zicklein, die bald darauf über, die Weiden staksten, zur Apfelblüte und zu den grünen Dinkelhalmen, die im Sommer gelb wurden und rasch geschnitten werden mussten, bevor sich graue Wolken auftürmten und Gewitter die Ernte niederwalzten. Zu den roten Herbstblättern und den weißen Morgennebeln, die die Täler erfüllten, und zur Vorfreude auf den Schweinebraten am Erntedankfest. Und nicht zuletzt zu den jungen Burschen und Mädchen, die sich schöne Augen machten und denen es immer wieder gelang, der Aufsicht ihrer Väter und Mütter zu entwischen, so wie diese einst ihre Eltern überlistet hatten. Und zu einem rothaarigen, wunderschönen Mädchen, das seine unerreichbare Jugendliebe gewesen war …
    In eine Seidendecke gehüllt lag Pelagia auf ihrer Liege und lauschte Ursos Schilderungen dieser fremden Welt. Als er verstummte, nickte sie, ergriff gedankenverloren eine in Honig eingelegte Dattel und reichte auch ihrem Gast den Teller. Vergeblich versuchte sie, eine bequeme Stellung zu finden, um schließlich ihrerseits stockend zu beginnen. Sie berichtete von ihrer Kindheit in einer Villa mit Blick über das türkisfarbene Meer, mit Mosaiken, Wandmalereien, einer Bibliothek, einem Bad und vielen Sklaven, die auf ein Händeklatschen hin herbeieilten. Von ihrer Jugend in Karthago, einer Metropole mit mosaikengeschmückten Kirchen, mit großen Thermen am Meer, über Dutzende von Meilen mit frischem Gebirgswasser versorgt; eine Stadt mit marmorprunkendem Forum, auf dem seit Jahrhunderten Sprachen aus allen Ländern durcheinander schallten, während in dem gebüschüberwucherten Theater nur noch Zikaden zirpten und Eidechsen Sonnenbäder nahmen. Von Reisen zu ihrem Landgut bei Thugga mit seinen silberblättrigen Olivenbäumen, seinen Weizenfeldern und Dattelpalmen. Von den runden Strohhütten der Landarbeiter und den Ausritten, die erst endeten, wenn die Sonne hinter den westlichen Hügeln versank. Von einer behüteten Jugend, der es an nichts gemangelt hatte und von der die Eltern die Wolken, die sich immer drohender am Horizont auftürmten, sorgsam abgeschirmt hatten – bis es nicht länger möglich gewesen war …
    Danach erinnerten sie sich an die gemeinsamen Tage in Rom – eine Zeit, als sie noch nicht vor jedem vorüberreitenden Sarazenen buckeln mussten. Bei aller Unterschiedlichkeit einte sie das Gefühl, Überbleibsel eines vergangenen

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