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Sie kamen bis Konstantinopel

Sie kamen bis Konstantinopel

Titel: Sie kamen bis Konstantinopel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank S Becker
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Volkslatein verstand, »komm sonntags zum Gottesdienst der Melkiten in die Johanneskathedrale. Solltest du je meine Hilfe brauchen, so trage ein rotes Tuch um den Hals.«
    »Danke, das dürfte allerdings kaum mehr notwendig sein«, entgegnete Pelagia. »Alles Gute für dein weiteres Leben.«
    Urso erhob sich stumm, verbeugte sich übertrieben tief und ging hinaus, ohne sich noch einmal umzublicken. Pelagia sah ihm mit einer Mischung aus Trauer und Erleichterung nach. Jetzt war sie ganz alleine in diesem fremden Land, auf Gedeih und Verderb der Gnade ihres Mannes ausgeliefert. Aber andererseits hatte Daud auch Recht. Urso, ein ungepflegter Schlingel, der sein Brot mit zweifelhaften Diensten für christliche Pilger verdiente, war wirklich kein Umgang mehr für sie. Das Schicksal hatte ihr einen anderen Weg gewiesen. Sie würde Arabisch lernen und mächtige Männer treffen, wie sie am Hofe des Kalifen verkehrten. Dort lag ihre Zukunft, Urso dagegen war nur noch ein Teil ihrer Vergangenheit. Eine Erinnerung wie Patricius. Doch bei dem Gedanken an den irischen Priester überfiel sie schon wieder eine unerklärliche Traurigkeit. Mühsam hielt sie die Tränen zurück und schalt sich eine schwangere, launenhafte Närrin.
    Am nächsten Tag erklärte ihr Daud, er müsse im Auftrag des Kalifen nach Tyrus an der Küste reisen.
    »Aber bei mir können jeden Tag die Wehen einsetzen«, wandte Pelagia erschrocken ein.
    »Ich kann es leider nicht ändern. Schirin wird bei dir sein, ich stelle sie dir nachher vor. Maria, der Hebamme, habe ich schon einen Dinar in die Hand gedrückt, sie wartet nur auf eine Nachricht von uns. Sei beruhigt, Allah wird alles zum Guten wenden!«
    Am Nachmittag kam Daud mit einer etwa fünfzigjährigen Frau zurück, die in einen weiten, dunkelblauen Umhang gehüllt war. Sie hielt sich aufrecht, ihr schwarzes Haar war grau gesträhnt und ihr Gesichtsausdruck von strenger Würde. Sie lächelte Pelagia höflich an und sagte etwas, das Daud übersetzte.
    »Sie freut sich, die Mutter meines Kindes kennenzulernen.«
    »Nicht mich als Frau, sondern nur als Mutter?«
    »Natürlich auch dich – das ist doch dasselbe. Sie wird dir bei allem helfen, sie kennt sich aus.«
    »Aber ich kann kein Arabisch und sie nicht meine Sprache.«
    »Sergios wird übersetzen, und die Hebamme versteht Griechisch. Mach dir keine Sorgen.«
    »Daud«, Pelagia nahm seine Hand. »Nach der Geburt möchte ich Arabisch lernen. Ich will mit deiner Familie sprechen können, den Koran lesen …«
    »Nein, das geht nicht!«, antwortete er bestimmt. »Ungläubige dürfen den Koran nicht lesen. Aber wenn du die Sprache lernen willst, habe ich nichts dagegen.« Er küsste sie auf die Stirne. »Ich muss aufbrechen.«
    Pelagia sah ihm nach, dann wandte sie sich Schirin zu, doch sie konnte in dem unbeweglichen Gesicht keine Gefühlsregung erkennen.
    »Sag ihr, dass ich mich freue, sie kennengelernt zu haben«, befahl sie Sergios, der lautlos in den Raum getreten war.
    »Die Freude ist ganz auf ihrer Seite«, übersetzte der Eunuch, doch als sich Schirin zum Gehen wandte, vermochte Pelagia keinerlei Wärme in ihrem Blick zu spüren.
    ***
    Drei Tage später – Daud war noch immer an der Küste – setzten am Nachmittag Pelagias Wehen ein. Bei den ersten Anzeichen geriet sie in Panik und begann laut zu rufen, worauf der stets im Vorzimmer lauernde Sergios losstürmte. Keine Viertelstunde verging, bevor die Türe aufgestoßen wurde und die Hebamme hereinkeuchte. Sie war eine dickliche, ältere und unglaublich hässliche Frau mit Doppelkinn und Warzen im Gesicht, doch ihr warmes Lächeln ließ Pelagia sofort Vertrauen fassen. Die Hebamme nahm ihre Hand und beugte sich über sie. »Mein Name ist Maria. Ruhig atmen, mein Kind, schön langsam und tief. Alles wird gut, ich selbst habe schon mit Gottes Hilfe drei gesunden Kindern das Leben geschenkt.« Pelagia, die das Gesicht aus der Nähe noch abstoßender fand, schoss die unchristliche Frage durch den Kopf, welcher Blinde sich wohl diese Frau erwählt haben mochte. Doch just in diesem Augenblick setzten die Wehen erneut mit solcher Macht ein, dass sie laut aufstöhnte.
    Es mochte Mitternacht sein, und der Raum war nur noch durch zahlreiche flackernde Öllampen erhellt, als es endlich so weit war. Eine letzte Anstrengung, dann hatte sie es geschafft. Unendlich erleichtert, zugleich aber auch völlig erschöpft, spürte sie noch, wie man ihr etwas Rotes, Runzliges in die Arme legte, das kläglich

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