Sie kamen bis Konstantinopel
schüttete sie die blutrote Flüssigkeit in sich hinein, bis die Welt um sie herum leicht zu werden schien und mitsamt ihren Sorgen davonwirbelte. Doch am nächsten Tag erwachte sie mit schwerem Kopf, und alles war noch schlimmer als zuvor. Vor allem, als sie am dritten Morgen Sergios erblickte, der neben ihrem Bett stand, sein glattes Kinn mit Daumen und Zeigefinger rieb und sie tadelnd musterte.
»Schluss mit Wein, sagt der Herr«, verkündete seine helle Knabenstimme.
Da Pelagia sich hundeelend fühlte, nickte sie nur stumm, obwohl sie den Beschnittenen für seine Spitzeldienste hasste.
An diesem Abend kam Daud wieder einmal zu ihr, wenn auch später als sonst. Er setzte sich in einen Sessel, fragte nach Fatima, erzählte Belangloses vom Hof des Kalifen, das ihn jedoch in gutem Licht erscheinen ließ, und holte zuletzt eine quadratische Ebenholzkiste hervor.
»Ich habe hier ein Spiel«, sagte er, »das auch der Kalif gerne spielt. Hättest du Lust, es mit mir auszuprobieren?«
Pelagia, die sich von seinem Besuch etwas anderes erhofft hatte, zuckte mit den Schultern. »Wenn du meinst … Zeig es mir.« Sie ließ ihre Finger über die Halskette aus blauen Glasperlen gleiten, die sie zu Hause stets trug. Langsam drehte sie das Rollsiegel, um ihr Glück zu beschwören.
»Es ist ein Kriegsspiel aus Persien, das Schatrandsch heißt«, erläuterte Daud. »Auf einem Brett mit acht mal acht Feldern stellt man je zwei Reihen von Figuren einander gegenüber auf. In der vorderen Reihe stehen die Bauern, dahinter stellt man die stärkeren Figuren auf. Ganz außen beginnt man mit dem mächtigen Rukh, dem Vogel, der selbst Elefanten wegtragen kann …«
Pelagia hörte aufmerksam zu und nahm sich vor, Daud eine würdige Gegnerin zu sein. Die ersten Partien gewann er leicht, doch bald holte sie auf, der Gleichmut der vergangenen Tag fiel von ihr ab, und als er um Mitternacht aufstand, hatte sie zum ersten Mal fast ein Unentschieden erreicht.
Als sie wieder alleine war, konnte sie trotz aller Müdigkeit nicht einschlafen. Zuletzt ging sie zum Fenster und blickte in den von Nachtschwärze erfüllten Hof herunter, hob dann ihren Blick. Grillen zirpten, unzählige Sterne flimmerten am Nachthimmel. Die vergangenen Stunden waren schön gewesen, dachte sie wehmütig. Voll Vertrautheit, aber ohne Leidenschaft. Liebte Daud jetzt diese Layla, die nicht einmal lesen und schreiben konnte? Ein ungebildetes Bauernmädchen mit gewöhnlichen Zügen, deren einziger Vorzug ihre Jugend war? Obwohl man ihr jetzt schon ansehen konnte, wie reizlos sie in einem Jahrzehnt aussehen würde? Mit Doppelkinn, plumpem Hintern und Hängebrüsten? Konnte sie das ertragen, hinter einem solchen Landtrampel zurückstehen zu müssen? Oder hatte sie keine Wahl? Nein, schoss es ihr durch den Kopf, man hatte immer eine Wahl – sofern man bereit war, den Preis dafür zu bezahlen.
***
Die nächsten Monate vergingen in angespannter Erwartung. Die drei Frauen – Pelagia, Schirin und Layla – teilten sich den Haram des Hauses, gingen sich aus dem Weg oder umschlichen einander wie lauernde Katzen. Daud kam jetzt regelmäßig zu Pelagia, um Schatrandsch zu spielen – und verlor immer häufiger. An solchen Abenden verabschiedete er sich ohne Zärtlichkeiten, so dass Pelagia gelegentlich eine Figur bewusst falsch setzte, um ihn gewinnen zu lassen. Doch obwohl sie ihn dann meist verführen konnte, wurde sie nicht wieder schwanger. So verging der Sommer, die Herbststürme fegten über die Stadt, der Winter brachte Kälte mit einzelnen Schneeflocken, und als der März kam, stand eines Morgens Helena atemlos in der Türe.
»Es ist so weit. Bei Layla haben die Wehen eingesetzt.«
Pelagia erstarrte. Was sollte sie wünschen? Dass die Rivalin im Kindbett verblutete? Dass ihr Balg starb? Oder dass es zumindest nur ein Mädchen sein würde? Aufgewühlt ging sie zum Fenster, um in den Hof zu lauschen, auf den auch das Zimmer der Anderen ging. Ein gedämpfter Schrei, danach Ruhe, Stimmengemurmel, Stöhnen. Pelagia biss sich auf die Lippen. Längere Zeit war nichts mehr zu vernehmen, bevor erneut Schreie durch den Innenhof hallten. Jetzt glichen sie Wellen, die kamen und gingen, stärker wurden, sich an den Mauern brachen, verebbten, um kurz darauf erneut einzusetzen.
Die Zeit verstrich, während sich nach und nach Mitleid in Pelagias Eifersucht mischte. Plötzlich weinte Fatima im Nebenzimmer, und als sie ihre Tochter auf den Arm nahm, wollte die Kleine mit Tränen
Weitere Kostenlose Bücher