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Sie kamen bis Konstantinopel

Sie kamen bis Konstantinopel

Titel: Sie kamen bis Konstantinopel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank S Becker
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Jüngern, welche gezwungen wurden, zu ihm emporzuklettern, konnten nicht hinaufkommen, bis sie Räucherwerk und liebliches Salböl vor ihre Nasen hielten.«
    Bei diesen Worten wurde Pelagia auf einmal schwindlig. Brechreiz würgte sie, der Druck der Umstehenden raubte ihr den Atem, und sie war nahe daran, bewusstlos zu werden. Doch gab es keine Möglichkeit, der dicht gepackten Menge zu entrinnen, so dass ihr nichts anderes übrig blieb, als weiterhin die Stimme zu ertragen, die sich in ihr Bewusstsein bohrte:
    »Lebt so ein selbstsüchtiger Mann? Ein von Eitelkeit besessener Mann? Nein, liebe Gemeinde, solche Stärke kommt von Gott allein!«
    »Von Gott, von Gott!«, skandierte die Menge.
    Der Priester hob beide Hände. »Nach neun Monaten jedoch sandte der Herr einen Engel, der über Nacht alle Wunden des Seligen heilte, auf dass Seine Macht offenbar werde!«
    Wieder erhob sich Gemurmel, so dass der Mann abermals die Hand heben musste, um sich Aufmerksamkeit zu verschaffen.
    »Aber ziehen wir die richtigen Lehren aus dem Leben des Seligen, folgen wir seinem heiligmäßigen Vorbild? Wisst ihr, was sich vor Jahren hier begab?« Er blickte über die Menge. »Als die Sarazenen von einem Fest erfuhren, das im Simeonskloster gefeiert wurde, da kamen sie her und nahmen viele Christen gefangen – Männer, Frauen, Kinder – und schleppten alle weg. Da herrschte unter den übrigen Gläubigen großer Jammer. Die Törichten wussten nicht mehr, was sie glauben sollten, so dass einige zweifelten: Warum ließ Gott dies alles geschehen? Ja, warum, frage ich euch?« Der Blick des Predigers glitt über die Menge, die in atemlosem Schweigen verharrte.
    »Weil damit der Gerechtigkeit Genüge getan wurde!«, brandete dann seine Stimme über die Menge. »Denn anstatt zu fasten, zu wachen und Psalmen zu singen, hatten diese Christen der Maßlosigkeit und Trunkenheit gefrönt. Getanzt hatten sie und am Festtag des Märtyrers allerlei Arten von Luxus und Ausschweifung geübt, wodurch sie Gott erzürnt hatten. Deshalb hat er damals zu Recht seine Gemeinde gezüchtigt, damit sie umkehre und bereue. Weil wir Sünder nichts aus dem Vorbild des seligen Simeon gelernt hatten, darum schickte er die irrgläubigen Sarazenen mit Heeresmacht. Darum gab er ihnen unser Leben, dieses Land und die Heiligen Stätten, auf dass sie damit verfahren mögen nach Seinem unerforschlichen Ratschluss!«
    Der Prediger verstummte und senkte den Kopf, bevor er leiser fortfuhr.
    »Und wenn berichtet wird, dass in Jerusalem fromme Christen nachts die Schreie der Dämonen gehört haben, die den Schutt vom Tempelberg abräumten, um das Bethaus für die Sarazenen zu errichten, so ist das kein Zeichen, dass deren Irrglauben triumphieren wird. Nein, es zeigt vielmehr, dass der Herr dem Satan zeitweilig Macht verlieh, uns zu prüfen wie einst Hiob. Und wenn in der Sarazenenstadt Mekka christliche Seeleute Zeuge wurden, wie nachts eine scheußliche Gestalt aus der Erde kroch, um das Fleisch der um die Kaaba als Opfer ausgelegten Ziegen und Kamele zu verschlingen, so sehen wir an jenem verfluchten Ort die Umtriebe Satans nur am augenfälligsten. Dies geschieht, auf dass wir nicht der Versuchung erliegen, sondern umso fester im Glauben an Christus und seine heiligen Kirche stehen. Wenn wir Einsicht zeigen, wird der Herr diese Prüfung beenden. Wie einst Hiob wird er uns alles Verlorene im Übermaß ersetzen! Also gehet hin, lasset euch die Glaubensstärke des heiligen Simeon ein Vorbild sein – und vergesst die Spenden für sein Kloster nicht!«
    Pelagia, die sich kaum noch auf den Beinen halten konnte, wurde mit der Menge aus der Kirche geschoben. Bei der Säule gesellte sich Urso zu ihr.
    »Eine großartige Predigt«, strahlte er, »ich habe richtiggehend die Fäulnis gerochen … oh Gott, wie siehst du denn aus!?«
    »Mir ist so schlecht«, stöhnte Pelagia. »Lass uns verschwinden. Ich hasse diesen widerlichen Ort!«
    In dem weiten Klostervorhof angekommen, atmete sie tief durch und lehnte sich an die Mauer, die Augen geschlossen. »Können wir nicht sofort abreisen?«, bat sie. »Was willst du noch hier?«
    Urso schüttelte ernst den Kopf. »Der schwierigste Teil unserer Reise steht erst bevor. Im Taurosgebirge müssen wir die Grenze zum Herrschaftsbereich des Kaisers überqueren. Wie die Lage ist, weiß nur jemand, der gerade von dort kommt. Da es für Händler zu gefährlich ist, nehmen nur noch Pilger diese Gefahren auf sich. Die trifft man aber nirgendwo so

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