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Sie kamen bis Konstantinopel

Sie kamen bis Konstantinopel

Titel: Sie kamen bis Konstantinopel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank S Becker
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sogar seine Begierde überstieg, sie wieder seiner Kontrolle zu unterwerfen. Seine Angst, als der Überlistete dazustehen, musste sogar größer gewesen sein als seine Wut über die entwendeten Angriffspläne. Pelagia lächelte. Dieses Pergamentbündel, das sie in einer wasserfesten Lederhülle mit sich führte, würde ihr in Konstantinopel die Türen öffnen. Die Türen der Mächtigen, vielleicht sogar die zum Kaiserpalast. Und diesmal würde sie ihr Glück ergreifen und festhalten, zur Not mit Zähnen und Klauen verteidigen wie ein wildes Tier.
    Außer diesen Pergamentblättern hatte sie noch ihre goldene Halskette sowie anderthalb Dutzend Dinare dabei – genug für einen Neuanfang in der Kaiserstadt, für die Miete einer Wohnung, für Diener und standesgemäße Kleider. All das ruhte wohl verborgen in ihrem Gepäck. Niemand, nicht einmal Urso, wusste davon.
    »Anhalten! Absteigen!« Die Aufforderung lief von Mund zu Mund die kleine Karawane entlang; sie wurde ihr mit verhaltener Stimme von dem ältesten Arabersohn zugerufen, der vor ihr ritt. Zu Beginn, beim Aufbruch aus Telanissos, hatte sie die arabische Familie mit Misstrauen betrachtet, da sie die harte Sprache an ihre Zeit als Sklavin erinnerte. Doch im Laufe der Tage war ihr Vertrauen gewachsen, hatte sie den hilfsbereiten, an Strapazen gewöhnten und nie klagenden Mann genauso schätzen gelernt wie seine mütterliche Frau mit ihren drei Söhnen.
    Pelagia gab den Befehl an den hinter ihr reitenden Urso weiter, bevor sie ihr Reittier zügelte und sich aus dem Sattel schwang. Der Führer zeigte nach links und schlug einen unscheinbaren Pfad ein, der sich den Berg emporschlängelte. Die nächsten Stunden vergingen unter angespanntem Schweigen, nur gelegentlich von einem losgetretenen Stein unterbrochen, der den Hang hinabrollte.
    Die Sonne versank, das Tal unter ihnen füllte sich mit schwarzem Schatten und kalte Windstöße zerrten an Pelagias Kapuze. Gestern hatte der volle Mond über den Dächern von Tarsos gehangen. Doch heute schimmerte er nur gelegentlich zwischen den dicht gepackten Wolken hervor, die über den Himmel hetzten.
    Bald setzte der Regen ein. Einzelne Tropfen zuerst, die im Staub zerplatzten. Dann immer mehr, bis das Wasser den Pfad hinabrieselte und den Boden mit einer Schlammschicht überzog, in der Menschen wie Maultiere ständig auszugleiten drohten. Pelagias Hinken wurde stärker, als ihre Narbe unter der Anstrengung zu schmerzen begann. Sie waren nun schon mehrere Stunden aufgestiegen, doch der Führer trieb sie unbarmherzig voran, um möglichst noch vor dem Gewitter einen verlassenen Ziegenstall zu erreichen. Inzwischen mussten sie hoch im Gebirge sein, denn im Schein eines Wetterleuchtens duckten sich nur noch wenige, windverkrümmte Bäume an die Felsen. Allmählich wurden die Blitze heller, dann war das erste Donnergrollen zu hören. Bald folgten sich Blitz und Donner in immer kürzeren Abständen. Pelagia zuckte jedes Mal heftiger zusammen. Sie zitterte am ganzen Körper – vor Kälte oder Furcht, sie konnte es nicht sagen. Wieder fiel ihr ein, wie sie sich als Kind vor jedem Gewitter geängstigt hatte. Diese lang überwunden geglaubte Angst schnürte ihr jetzt die Kehle zu.
    Jäh wurde die gesamte Umgebung von einem grellen Blitz aus dem Dunkel gerissen. Zu ihrem Entsetzen gewahrte Pelagia, dass rechts neben dem Pfad der Hang steil abfiel: An die fünfzig Fuß Felsen, mit vereinzelten Krüppelkiefern bestanden, dahinter die Schwärze eines Abgrundes. Auch das Maultier, das die ganze Zeit schon unruhig mit den Ohren gezuckt hatte, schien nun von Panik erfasst zu werden. Als unmittelbar darauf ein ohrenbetäubender Donnerschlag krachte, bäumte es sich auf, stolperte, glitt mit dem rechten Vorderhuf aus, stürzte zu Boden. Pelagia, die dicht hinter ihm gegangen war, griff nach ihrem Gepäck, bekam es gerade noch zu fassen. Doch ihre Hand verfing sich in einem Tragriemen. Hilflos schlug das Tier mit den Hufen, rutschte den Abhang hinab, riss Pelagia mit sich. Ihre Schreie gellten durch die von Wetterleuchten erhellte Nacht. Felsbrocken schürften ihr die Knie auf, mit Nadeln besetzte Äste kratzten über ihr Gesicht. Durch seine verzweifelten Bewegungen glitt das Maultier immer weiter. Zuletzt verfing es sich in einer größeren Kiefer, die sich direkt an den Rand des Abgrundes krallte. Pelagia versuchte sich zu befreien, doch der feuchte Lederriemen hatte sich in ihr Handgelenk geschnitten. Sie zerrte mit aller Kraft, schrie

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