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Sie kamen bis Konstantinopel

Sie kamen bis Konstantinopel

Titel: Sie kamen bis Konstantinopel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank S Becker
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schon früh. Sie kamen nicht sehr schnell voran, da Urso, um nicht in Streitereien mit fanatischen Sarazenen zu geraten, keine Pferde, sondern Maultiere beschafft hatte. Jeden Morgen achtete er zudem strikt darauf, dass sie deutlich sichtbar den Zunnar anlegten, den breiten Gürtel, der sie als Christen auswies. Mit der Zeit löste sich Pelagias Anspannung. Mit jedem Tag wurde sie sich mehr bewusst, wie sehr sie in den letzten Jahren als Gefangene gelebt hatte. So genoss sie den beschaulichen Rhythmus der Reise, verbannte alle Sorgen um die Zukunft und gab sich den neuen Eindrücken hin.
    Hinter Epiphania, der nächsten, eine Tagesreise nördlich von Emesa gelegenen Stadt, wirbelte der Wind den Staub durch die flache, ausgedörrte Landschaft. Nun ritten sie durch ärmliche Dörfer, deren Häuser nur aus kegelförmigen Lehmbauten bestanden. Bewohnt wurden sie von christlichen Arabern, die große Ziegenherden vor sich her trieben und deren Kinder ihnen neugierig nachstarrten. Einen Tagesritt hinter Epiphania bogen sie nach Nordwesten ab und nahmen nun kleinere Wege, da auf den großen Straßen zunehmend Haufen von Soldaten ritten. Diese trugen spitze Helme und prahlten damit, bald das Banner des Propheten in die Hauptstadt der Ungläubigen zu tragen. Urso versuchte, von entgegenkommenden Reisenden Genaueres über den drohenden Krieg zu erfahren, doch hatte jeder nur andere, meist düsterere Gerüchte zu bieten.
    Der Weg wand sich nun durch Kalksteinhügel, bedeckt von alten Olivenbäumen, die aussahen, als seien sie seit Jahrzehnten sich selbst überlassen. Hier bestanden die Dörfer aus zweistöckigen, vornehm aussehenden Häusern. Diese waren, ebenso wie die reich verzierten Kirchen, aus passgenauen Quadersteinen errichtet, wie Kallinikos bewundernd bemerkte. Doch die meisten Gebäude standen leer. Durch eingefallene Dächer blickte der Himmel, Türen hingen schief in den Angeln und wilde Tauben flogen durch die leeren Fensterhöhlen.
    Einmal fanden sie sogar den Ort, wo sie übernachten wollten, gänzlich verlassen vor. Sie mussten ihr Nachtlager auf dem Boden einer Kirche aufschlagen, die ihnen ein in der Nähe hausender Einsiedler aufsperrte. Vor einem Menschenalter, so berichtete dieser, als er sie mit einer Laterne durch den verlassenen Ort führte, seien die Menschen hier noch reich gewesen. Dann jedoch hätten die Perserkriege und die folgende Sarazeneneroberung die Gegend ruiniert. »So war es eben Gottes Wille«, seufzte der alte Mann.
    Urso hob mahnend den Zeigefinger. »Du richtest deine Augen auf Reichtum, und er ist nicht mehr da; denn er macht sich Flügel wie ein Adler und fliegt gen Himmel«, gab er mit ernster Miene zum Besten.
    Pelagia verdrehte die Augen, doch der Einsiedler lächelte, während er seine Hand auf Ursos Schulter legte. »Ein rechtschaffener junger Mann, der Salomo zitiert!«, bemerkte er in Richtung der anderen, als sollten sie sich daran ein Beispiel nehmen.
    Am nächsten Tag wurden sie durch Hammerschläge geweckt. Als sie durch die Kirchenfenster hinausspähten, sahen sie, wie Männer die Grabmäler des nahen Friedhofs aufbrachen. Sie wuchteten die Bleisärge heraus, warfen die Skelettreste beiseite und zerhackten das graue Metall in handliche Stücke, die wartenden Eseln aufgepackt wurden. Anfangs befürchteten die drei, einer Räuberbande begegnet zu sein. Doch aus den Befehlen des Anführers war zu entnehmen, dass der Trupp die verlassenen Christengräber im Auftrag des Statthalters ausplünderte. Dennoch beeilten sie sich, schnell aus der Gegend zu verschwinden.
    Am Nachmittag des Folgetages sahen sie weit vor sich auf einem Hügel die Kirche des heiligen Simeon aufragen. Jetzt war der Weg nicht mehr so verlassen; immer öfter begegneten sie Reisenden oder überholten Pilger, die zum gleichen Ziel wanderten. Am Abend erreichten sie endlich das Dorf Telanissos, das sich unterhalb der Kirche erstreckte. Überall erhoben sich gleichförmige, zweistöckige Pilgerherbergen. Fackeln erleuchteten die Gassen, in denen Schuster ihre Dienste anpriesen, Wirte um Kundschaft und fliegende Obsthändler lautstark für ihre frischen Feigen warben. Es war nicht leicht, ein Zimmer in einer Herberge zu finden, aber am Ende wurden sie mit einem Wirt handelseinig, bei dem sie auch ihre Reittiere unterstellen konnten. Nach den vielen Tagen, in denen sie trockenes Brot und harten Käse mit Brunnenwasser hatten herunterspülen müssen, gönnten sie sich Lammbraten mit reichlich Rotwein. Pelagia ließ

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