Sie kamen bis Konstantinopel
sich immer wieder einschenken, bis für eine Weile alle Sorgen um ihre Zukunft verschwammen.
Am nächsten Morgen erwachte sie mit heftigen Kopfschmerzen, und sie verfluchte den geschäftigen Urso, der es kaum erwarten konnte, zur Simeonskirche aufzubrechen. Doch schließlich steckte er sie mit seiner Vorfreude an, während Kallinikos nur abweisend den Kopf schüttelte. Der Baumeister machte sich mit finsterer Miene auf, um die mörtellos aus riesigen Quadersteinen errichteten Bauten von Telanissos in Augenschein zu nehmen.
»Was ist mit ihm?«, wollte Pelagia wissen, als sie im Morgenlicht den von Säulen eingefassten Torbogen durchschritten, der den Beginn der heiligen Straße markierte. Vor und hinter ihnen drängten sich aufgeregt schwatzende Pilgergruppen.
»Ich bin mir nicht sicher«, antwortete ihr Begleiter zurückhaltend, »aber manchmal habe ich ihn im Verdacht, einen Groll gegen unseren Glauben zu hegen.«
Pelagia nickte, ohne etwas zu sagen. Früher hätte sie sich deshalb zu dem schweigsamen Baumeister hingezogen gefühlt. Aber seit Fatimas Tod hatte sich ihre Einstellung gewandelt. Die Vorstellung, durch die Taufe wenigstens die Seele des Mädchens gerettet zu haben, war ihr als einziger Trost verblieben.
»Hast du ihn nie darauf angesprochen?«, fragte sie zuletzt, als sie vor dem zweiten Tor standen, hinter dem der Vorhof des Klosters begann.
Urso zuckte mit den Schultern. »Ich habe es mal versucht, aber er wollte nichts sagen. Er scheint irgendein finsteres Geheimnis mit sich herumzutragen.«
Wie Patricius, schoss es ihr unwillkürlich durch den Kopf, doch dann wurde sie von dem abgelenkt, was sie hinter dem zweiten Tor erwartete.
Sie passierten hölzerne Stände, an denen kupferne Kreuze, bestickte Tücher und grünliche Glasfläschchen feilgeboten wurden. Ein Stück weiter konnte man kreuzgeschmückte Öllampen, flache Pilgerflaschen mit Bibelszenen oder kleine Tonplättchen erwerben, die mit Bildern des Heiligen auf seiner Säule geschmückt waren. Dazwischen wimmelte es von Führern, die lautstark ihre Dienste anpriesen.
»Schöne Frau, kommt mit, ich zeige Euch die Säule des Simeon und die wunderkräftigsten Ikonen!«
»Folgt lieber mir! Ich komme aus dem gleichen Dorf in Kilikien wie der Selige! Niemand weiß mehr über sein Leben als ich!«
»Vier Jahrzehnte auf einer 60 Fuß hohen Säule! Bei Sonne, Regen, Wind und Schnee! Wollt Ihr mehr über seine Glaubensstärke erfahren?«
»Seid Ihr schon getauft? Wenn nicht, kommt erst mit zum Baptisterium, sonst dürft Ihr die Kirche nicht betreten!«
Pelagia knuffte lächelnd Urso. »Genau so marktschreierisch habe ich dich vor zehn Jahren in Rom erlebt!«
»Wie konntest du mich nur derart verkennen?«, entgegnete er gekränkt und rollte mit den Augen. »Das hier sind doch alles Schreihälse. Obwohl man«, er sah sich prüfend um, »selbst von denen noch einiges lernen kann.«
»Ja, ist schon gut«, lachte sie. »Nur warum sind wir eigentlich hier – außer, um deine Neugierde zu befriedigen?«
Urso legte den Zeigefinger an die Lippen. »Darüber lass uns später sprechen. An einer ruhigen Stelle.«
Sie wurden mit einem Führer handelseinig und folgten dem Pilgerstrom, der sie durch das dritte Tor in einen großen Hof schwemmte. Rechts erhob sich das Baptisterium, dahinter der langgestreckte Bau der Klosterherberge mit seiner endlosen Reihe rechteckiger Fenster. Schräg voraus sahen sie die Fassade der Kirche mit ihren drei großen Portalen, die sie bald darauf erreichten. Wie ihr Führer erzählte, war der kreuzförmige Bau vor zwei Jahrhunderten um die Säule des Einsiedlers errichtet worden, die man mit einer zentralen Kuppel überwölbt hatte. Doch diese war schon vor langer Zeit eingestürzt, so dass die Säule wieder so frei wie einst in den blauen Himmel ragte. Sie erhob sich auf einem quadratischen Podest; ein sie umgebender Zaun sollte verhindern, dass fromme Eiferer sich Stücke abschlugen.
»Da oben«, der Mann zeigte zur Spitze der Säule, »da stand der Selige jeden Tag, betete und sprach zweimal täglich zu den Pilgern, ermahnte sie und diktierte Schreiben an viele Mächtige, auf dass sie vom gottlosem Tun ablassen mögen. Jährlich fastete er vierzig Tage, ansonsten wurde ihm nur ein einziges Mal in der Woche mit einer Leiter Essen hinaufgebracht. Mehr brauchte er nicht, so stark war sein Glaube!«
Pelagia lag schon eine Frage zu Simeons menschlichen Bedürfnissen auf der Zunge, doch biss sie sich auf die Lippen,
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