Sie kamen bis Konstantinopel
bestickten Robe durch das Mittelportal, um seinen Platz im vorderen Teil einzunehmen. Er war ein stattlicher, bärtiger Mann mit wallendem Haupthaar, das von einem mit Perlen und Edelsteinen besetzten Diadem umkränzt wurde. Doch bald erlosch Pelagias Interesse an dem fernen Herrscher. Der Gottesdienst zog sich hin. Gesang, Rezitation und Predigt wechselten sich ab, immer wieder wurde Gott um Erlösung aus der Sarazenennot angefleht. Pelagia ertappte sich dabei, wie ihre Aufmerksamkeit nachließ und ihr Blick über die Tausenden von Gläubigen schweifte.
Plötzlich stutzte sie. Dort unten, im Bereich der Kleriker, stand ein rothaariger Mann in dunklem Priestergewand. Er war kräftig, überragte seine Umgebung um Haupteslänge und obwohl sie ihn nur aus der Ferne sehen konnte, war sie fast sicher, ihn zu kennen. Sie spürte, wie ihr Atem schneller ging und ihre Niedergeschlagenheit freudiger Aufregung wich.
Kaum näherte sich der Gottesdienst dem Ende, rannte sie schon unter den missbilligenden Blicken der anderen Frauen den Aufgang hinab, hinunter in den Hof – und hatte Glück. Inmitten einer Gruppe von Priestern trat der Mann aus der Vorhalle. Obgleich ein Jahrzehnt seit ihrer letzten Begegnung verstrichen war und sie ihn nur aus einigen Dutzend Schritt sah, erkannte sie ihn sofort: Patricius!
Ihr Herz hämmerte, als sie auf die Geistlichen zuging, die sich um den prunkvoll gekleideten Patriarchen scharten. Am Rand blieb sie stehen und sprach einen der Männer auf Lateinisch an, da sie wusste, dass die Sprache der westlichen Reichsprovinzen in Konstantinopel kaum noch verstanden wurde.
Der Mann blickte sie neugierig an, um dann auf Griechisch zu rufen: »Komm doch mal rüber, Patricius. Hier ist eine Lateinerin, die irgendetwas will.«
Der rothaarige Priester löste sich aus der Gruppe, und als er vor ihr stand, brachte Pelagia vor Aufregung kein Wort heraus. Auch ihn hatten die Jahre gezeichnet, seine Haut war fleckiger geworden und die Augen waren von Fältchen umgeben, die sich jetzt zu einem warmen Lächeln verzogen. Noch immer war er ein sehr gut aussehender Mann, und seine Züge wirkten weniger hart als damals.
»Pelagia, du lebst? Als ich von dem Sarazenenüberfall erfuhr, habe ich nächtelang nicht schlafen können. Du bist also entkommen?«
»Nein, Urso und ich wurden verschleppt. Aber können wir irgendwo in Ruhe reden?«
»Komm mit ins Baptisterium, ich habe den Schlüssel.« Patricius zeigte auf eine kleine Kuppel, die sich am südwestlichen Rand der großen Kirche erhob. Auf dem Weg dorthin bemerkte er ihr Hinken.
»Bist du verletzt?«
»Nein, nur eine alte Narbe. Warte, bis wir dort sind.«
Im Inneren des kleinen, quadratischen Baus herrschte gedämpftes Licht, das durch klare Glasfenster fiel und die Marmorplatten der Wände glänzen ließ.
»Hier sind wir ungestört«, sagte Patricius, »ich höre.«
Pelagia setzte sich auf den Rand des großen Taufbeckens, das die Mitte des Raumes einnahm, und begann zu sprechen, während Patricius an die Wand gelehnt zuhörte. Eine Stunde mochte vergangen sein, bis sie beim Brand der Herberge angekommen war.
»Und so bin ich jetzt wahrhaft am Ende«, schloss sie ihre Erzählung mit einem bitteren Lachen. »Und wie war dein Schicksal?«
»Ich kam als Gesandter des Papstes nach Konstantinopel, wo ich blieb. Dabei musste ich viele heikle diplomatische Aufgaben erfüllen. Kürzlich hat Patriarch Johannes angedeutet, dass er mich zum Bischof von Salona machen möchte«, antwortete Patricius mit einem Schulterzucken, »viel mehr von Interesse gibt es da nicht zu berichten.«
»Das klingt nach Ehre, aber nicht danach, als seiest du darüber glücklich«, bemerkte Pelagia.
»Vielleicht darf ich nicht glücklich sein«, entgegnete er bedächtig, »vielleicht ist meine Schuld noch nicht getilgt. Du weißt selbst, wie viele in unserer Herde nur dem Wort, nicht jedoch den Taten nach Christen sind. Urso in seinem einfältigen Eifer ist da ja noch harmlos – grüß ihn bitte ganz herzlich von mir.« Er schwieg einen Augenblick. »Der Patriarch sagt, dass deshalb der Herr die Sarazenen schickt. Um uns für unsere Sünden zu strafen.«
»Meinst du damit etwa, dass wir uns nicht wehren sollten?«, fragte Pelagia beunruhigt.
»Ich weiß es nicht. Kampf ist immer Sünde, ein Krieg gebiert den nächsten. Nicht ohne Grund sagt die Schrift: ›Wer das Schwert nimmt, wird durch das Schwert umkommen.‹« Patricius ging auf sie zu, sah ihr in die Augen und wirkte
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