Sie kamen bis Konstantinopel
»Dort suchen sie immer Männer, die auf der Flotte der Gläubigen dienen. Vor allem jetzt, da Uthman tot ist, der wenig von der Seefahrt hielt …« Amr zeigte zu den halbrunden Türmen und den mächtigen Mauern, die sich einige Hundert Schritte entfernt gegen den Abendhimmel erhoben. »Dort, bei der Festung Babylon, gibt es einen Hafen, von dem aus Schiffe nilabwärts gehen, nach Alexandria. Und jetzt lauf, bevor ich es mir anders überlege …«
So begann Dauds Zeit in Ägypten.
Die erste Nacht schlief er am Fuße der großen Mauer. Am folgenden Tag streifte er auf der Suche nach einer Anstellung durch die mächtige Rumfestung, in der sich jetzt die Nasranis der Umgebung niedergelassen hatten, doch fast niemand verstand ihn. Am Ende fand er eine Stelle als Schreiber bei einem Kaufmann, der jede Sprache der Welt zu radebrechen schien, und für den er arabische Briefe in sauber geschriebenem Kufi abfasste. Dabei ließ er keinen Augenblick ungenutzt, um Griechisch zu lernen, das alle Einheimischen höherer Stände benutzten. Abends ging er oft zur Westseite, wo zwischen zwei riesigen Rundtürmen der Flusshafen lag, genoss die letzten Sonnenstrahlen, sah den flachen Barken zu und erkundigte sich nach dem Preis einer Passage bis Alexandria. Sobald er genug Geld beisammen hatte, sagte er dem verdutzten Kaufmann Lebewohl und bestieg frohgemut das nächste Getreideschiff. Gemächlich trieben sie auf der breiten Wasserfläche entlang, die zu beiden Seiten von grünen Feldern und Dattelpalmen gesäumt wurde, und einer der Schiffer wies mit ausgestrecktem Arm auf seltsame, spitze Berge, die ein Stück westlich aufragten.
»Die Pyramiden«, erklärte er, als er den fragenden Ausdruck des Jungen bemerkte, »dort liegt auch der Vater des Schreckens, ein steinernes Ungeheuer mit Menschenkopf und Löwenkörper.«
Wenige Tage später erreichten sie den Ort Chaireou, wo die Ladung auf kleinere Kähne umgeladen wurde. Am nächsten Morgen fuhren sie auf einem links abgehenden Kanal weiter, bis sie am Nachmittag die sonnenbestrahlten Mauern Alexandrias, der weiß glänzenden Marmorstadt, aufragen sahen. Der Kanal durchquerte die Stadt, und Daud durfte noch ein Stück mitfahren, bis der Kahn den Getreidespeicher erreichte.
Mit einem Dankeswort sprang er an Land, mitten hinein in die Menschenmenge, und ließ sich treiben. Lastenträger und fliegende Händler, Barbiere am Straßenrand und fordernd ihre Schalen reckende Bettler, verhängte, von Sklaven getragene Sänften und hoch bepackte Maulesel, einladend winkende Mädchen in düsteren Seitengassen und laut hämmernde Kupferschmiede, Betrunkene an Schanktresen und stumm dahineilende, schwarz gewandete Mönche – in den sich rechtwinkelig kreuzenden Straßen der Riesenstadt mischte sich Volk aus aller Herren Länder. Hier wirbelten Sprachfetzen durcheinander, roch es abwechselnd nach Kümmel, Teer, Weihrauch, Eselsmist, Hammelbraten, Rosenwasser und toten Fischen.
Als Daud ein großes, palastartiges Gebäude mit dem Kreuzsymbol sah, spürte er einen Stich im Herzen, musste an Thekla denken und beschloss, herauszufinden, wo ihre Familie lebte. Doch der Angestellte des Metropoliten von Alexandria, in dessen Amtssitz er gelandet war, hörte Daud zwar aufmerksam zu und murmelte ein kurzes Gebet, als er vom Tod der jungen Nonne erfuhr, doch helfen konnte er auch nicht.
»In dieser Stadt leben über hunderttausend Menschen«, seufzte er. »Wenn du nicht mehr über die Familie weißt, kann ich nichts machen. Vor allem, da viele beim Eintritt ins Kloster einen neuen Namen annehmen.«
Daud nickte verstehend, bedankte sich, fragte nach dem Weg zum Westhafen und ging über den langen Damm bis zu der Insel Pharos, auf der sich ein dreistöckiger Leuchtturm erhob. Staunend reckte er den Hals vor dem Bauwerk aus weiß schimmerndem Marmor, auf dem bei Einbruch der Dämmerung ein hoch aufloderndes Feuer entzündet wurde. Er bewunderte die unzähligen Schiffe, deren Masten in der Dünung schwankten, lauschte dem Kreischen der Möwen und sog gierig den salzigen Geruch des Meeres in seine Lungen. Dann schlenderte er zurück, aß etwas in einer Hafenkneipe und suchte sich ein Bett im Schlafsaal einer billigen Absteige. Nachts träumte er davon, auf einem Schiff der muslimischen Kriegsflotte anzuheuern, um alles zu lernen, was man als Seefahrer wissen musste. Eines Tages würde er das Kommando eines schnellen Seglers übernehmen, die unendliche Weite auf der Jagd nach Beute durchqueren, ja, so
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