Sie kamen bis Konstantinopel
aufsprangen.
»Ja, lass sie es zeigen …« – »Wir wollen den Zauber sehen …« – »Wenn Allah will, wird er uns unverwundbar machen!«
Ammâr strich sich über den Bart. »Nun gut, wenn du willst … Wo ist die Salbe?«
»In meinem Reisesack da hinten«, entgegnete Thekla, »in einem kleinen Bronzedöschen. Der Junge da kann sie holen.« Bei diesen Worten zeigte sie auf Daud, der sofort nach hinten lief, nach kurzem Suchen das Döschen fand und es Thekla reichte, nachdem er ihr mit zitternden Fingern die Fesseln gelöst hatte.
Für die Dauer eines Herzschlages standen sich beide gegenüber, und Daud sah das Glänzen in ihren Augen, eine triumphierende Zuversicht, wie er sie nie bei einer Frau für möglich gehalten hätte. Mit der Wucht eines Schlages wurde ihm klar, dass er sie liebte, dass er ihr morgen folgen musste – ganz gleich, was er Ammâr geschworen hatte. Noch vor Sonnenaufgang würde er sich aus dem Dorf schleichen und in Richtung des Weges laufen, der zum Mosesberg führte. Und sobald die Pilgergruppe in Sicht käme …
»Danke«, sagte Thekla in diesem Augenblick, nahm ihm die golden schimmernde Bronzedose aus der Hand, öffnete sie und beugte den Kopf nach vorne.
Daud trat hastig in den Kreis der Zuschauer zurück, die die Hälse reckten, während die junge Frau mit ruhigen, sorgfältigen Bewegungen die Salbe auf ihrem Genick verstrich, vom Haaransatz bis zum Beginn der Schulter, und dabei Unverständliches murmelte. Dann hob sie wieder den Kopf, ließ ihren Blick über die Männer im Raum schweifen und sank langsam auf die Knie. Im Raum war nur das Rascheln der Schritte zu hören, als die hinten Stehenden versuchten, sich nach vorne zu drängen, um einen Blick zu erhaschen. Thekla lächelte, bevor sie Ammâr ein Zeichen machte, zu ihr zu treten.
»Zieht Euer Schwert«, sagte sie leise und deutete auf seinen Gürtel, an dem der Griff der Waffe glänzte. Atemlose Stille herrschte im Raum, alle schienen wie versteinert: Der Alte mit dem weißen Turban, die drei anderen Männer, die ebenfalls gewonnen hatten, die kniende Frau in dem dunklen Umhang, der ihren Körper bis auf Kopf und Hände verhüllte, sowie Ammâr mit seinem breiten, von roten Flecken übersäten Gesicht, auf dem sich jetzt Hilflosigkeit spiegelte.
»Worauf wartet Ihr noch?«, hörte Daud Theklas sanfte Stimme. »Oder lähmt Euch die Furcht?«
»Mich?« Ammârs Stimme dröhnte durch den Raum, als er das Schwert aus der Scheide zog. »Wovor sollte ich mich fürchten …« Doch die Langsamkeit, mit der er die Waffe hob, strafte seine laute Selbstsicherheit Lügen. Als die Klinge in Höhe ihres gesenkten Hauptes angekommen war, räusperte er sich.
»Und du willst uns die Kraft deines Zaubers beweisen, damit wir dich unversehrt laufen lassen?«, fragte er abermals nach.
»Ja, das will ich.«
Der Mann hob das Schwert um eine weitere Armlänge.
»Und ich soll so fest zuschlagen, wie ein kämpfender Krieger zuschlagen würde?«
»Ja, das sollt Ihr.«
»Nun, wie du willst.« Ammâr hob die Waffe, bis die Hände über seinem Kopf waren, so dass er Thekla durch die gespreizten Arme sehen konnte.
»Ihr habt es alle gehört«, rief er in den Raum. »Wollt ihr …« Noch einmal sah sich Ammâr um, und auch Daud stellte sich auf die Zehenspitzen und ließ seinen Blick über die Anwesenden schweifen. Alle starrten auf die Frau, über deren Kopf die erhobene Klinge schwebte – hagere Männer und beleibte, junge mit glatten Gesichtern und solche, deren Falten von Wüstensonne, Sandstürmen und zahllosen Kämpfen zu erzählen schienen, kahle Köpfe und turbanbedeckte Häupter. Alle hatten nur Augen für den feisten, stehenden Mann und die zarte Frau mit dem gesenkten Haupt. »Wollt ihr euer Recht an dieser Frau für den Zauber der Unverwundbarkeit eintauschen?«
»Ja, wir wollen …« – »Zeig es uns …« – »Lass sie es beweisen …« – »Schlag zu, schlag zu, schlag zu!«
Rings um Daud schien ein Meer von Stimmen zu brodeln. Nur er selbst schwieg zunächst, betrachtete die kniende Thekla und begriff plötzlich, was jetzt folgen musste, was sie von Anfang an bezweckt hatte, warum ihre Augen so triumphierend glänzten. Das war kein Handel, sondern ein Opfer, ihr Ausweg aus der Schande. Und so schrie er als einziger verzweifelt: »Nein, nein, nein …!«
Doch es war schon zu spät.
Ammârs Klinge schnellte empor, um dann wie ein Blitz niederzusausen. Man hörte einen dumpfen Schlag, gefolgt von einem
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