Sie kamen nach Bagdad
jungen Mann mit einem strahlenden Lächeln begrüßt, der sie, zumindest bildlich gesprochen, an sein Herz drückte. Das war, schloss Victoria, Markus – oder richtiger gesagt Herr Tio, der Besitzer des Hotels Tio.
»Also da sind Sie wieder, Mrs Clipp – aber was ist mit Ihrem Arm – warum ist er in diesem komischen Zeug? Was für ein Tag, um anzukommen! Ich hätte nicht gedacht, dass das Flugzeug noch landen würde. Es kreiste unentwegt über der Stadt. Markus, sagte ich mir, du bist keiner, der mit dem Flugzeug reisen wird. Was soll all diese Hast? Und Sie haben eine junge Dame mitgebracht. Es macht mir Freude, eine neue junge Dame in Bagdad zu sehen. Aber, meine Liebe, Sie müssen sofort einen Drink nehmen …«
Schwindlig infolge eines doppelten Whiskys, den Markus ihr gebieterisch aufgedrängt hatte, stand Victoria kurz darauf in einem hohen, weiß getünchten Zimmer. Es enthielt ein großes Bett, einen hypermodernen französischen Toilettentisch, einen viktorianischen Schrank und zwei bunte Plüschsessel.
Sie setzte sich auf das Bett und fuhr vorsichtig mit der Hand über ihr Haar. Es fühlte sich von Staub verklebt an und ihre Gesichtshaut war rau und gespannt. Sie betrachtete sich im Spiegel. Der Staub hatte ihr ziemlich dunkles Haar in ein sonderbares Rotbraun verwandelt. Sie schob ein Eckchen des Vorhangs zurück und blickte auf einen großen Balkon, der zum Fluss hinausging. Aber vom Tigris war nichts zu sehen als ein dichter, gelber Dunst. Von tiefer Niedergeschlagenheit überwältigt, sagte sich Victoria: welch grauenhafter Ort.
Dann raffte sie sich auf, ging über den Korridor und klopfte an Mrs Clipps Tür. Ehe sie an ihre eigene Reinigung und »Renovierung« denken konnte, musste sie erst ihren Pflichten nachkommen …
Nach einem Bad, einem Lunch und einem ausgedehnten Schläfchen trat Victoria aus ihrem Schlafzimmer auf den Balkon und blickte mit Wohlgefallen auf den Tigris. Der Sandsturm hatte sich gelegt. Jenseits des Stromes zeichnete sich eine zarte Silhouette von Palmen und unregelmäßig verstreuten Häusern ab. Aus dem Garten drangen Stimmen zu Victoria herauf. Sie trat an die Brüstung des Balkons und blickte hinunter.
Mrs Hamilton Clipp, diese unermüdliche Rednerin und gütige Seele, hatte ein Opfer gefunden. »… und ich weiß wirklich nicht, was ich ohne sie getan hätte«, sagte Mrs Clipp. »Sie ist das netteste, reizendste Mädchen und aus sehr gutem Hause. Eine Nichte des Bischofs von Llangow.«
»Bischof von wo?«
»Llangow habe ich verstanden.«
»Unsinn, es gibt keinen Bischof von Llangow«, sagte die andere.
Victoria runzelte die Stirn. Sie erkannte den Typus der Landaristokratin, die auf die Erwähnung von falschen Bischöfen nicht hereinfällt.
»Nun, dann habe ich vielleicht den Namen falsch verstanden«, sagte Mrs Clipp zweifelnd. »Aber«, fuhr sie fort, »sie ist unbedingt ein liebes, tüchtiges Mädchen.«
Die andere sagte nur: »Hm«, ohne sich irgendwie festzulegen.
Victoria beschloss, um diese Dame tunlichst einen weiten Bogen zu machen. Irgendetwas sagte ihr, dass es keine leichte Aufgabe sein dürfte, Geschichten zu erfinden, auf welche diese Frau hereinfallen würde. Sie musste Acht geben, um nicht bei ihren Lügen ertappt zu werden.
Victoria ging in ihr Zimmer zurück, setzte sich aufs Bett und gab sich Betrachtungen über ihre gegenwärtige Lage hin. Sie wohnte im Hotel Tio, das, wie sie mit Bestimmtheit vermutete, keineswegs billig war. Sie besaß vier Pfund und sieben Shilling. Sie hatte einen herzhaften Lunch verzehrt, den sie nicht bezahlt hatte und den Mrs Clipp durchaus nicht verpflichtet war zu bezahlen. Mit Mrs Clipp waren nur die Reisespesen nach Bagdad vereinbart gewesen. Der Vertrag war abgelaufen. Mrs Clipp fuhr mit dem Abendzug nach Kirkuk und damit Schluss.
Was tun? Die Antwort kam sofort. Versuchen, Edward zu finden. Sie konstatierte ärgerlich, dass sie keine Ahnung von Edwards Familiennamen hatte. Dessen ungeachtet musste sie ihn schnellstens finden und er musste ihr eine Stellung verschaffen.
Victoria puderte sich die Nase, glättete ihr Haar und ging hinunter, um sich zu informieren. Der strahlende Markus begrüßte sie entzückt.
»Ah, Miss Jones! Sie nehmen doch einen Drink mit mir, nicht wahr?«
Victoria akzeptierte erfreut. Sie thronte auf einem hohen Barhocker, schlürfte Gin und begann sich zu informieren.
»Kennen Sie einen Dr. Rathbone, der kürzlich nach Bagdad gekommen ist?«, fragte sie.
»Ich kenne jedermann in
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