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Sie kamen nach Bagdad

Sie kamen nach Bagdad

Titel: Sie kamen nach Bagdad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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aufgefordert, nächsten Donnerstag im Institut einen Vortrag zu halten. Über internationale Beziehungen und Verbrüderung oder irgend so etwas. Lauter Unsinn, wenn Sie mich fragen. Je mehr man versucht, Leute zusammenzubringen, umso misstrauischer werden sie gegeneinander. Diese ganze Poesie und Musik und Übersetzerei von Shakespeare und Wordsworth, in Arabisch und Chinesisch und Hindustanisch. ›Eine Primel an des Baches Rand‹ usw. Was sollen Leute damit anfangen, die nie eine Primel gesehen haben?«
    »Wo wohnt er?«
    »Im Babylonian Palace, glaube ich, aber sein Büro ist oben beim Museum. ›Der Ölzweig‹ – lächerlicher Name. Voll von jungen Mädchen in Hosen mit ungewaschenem Hals und Brillen.«
    »Ich kenne seinen Sekretär flüchtig«, sagte Victoria.
    »O ja. Wie heißt er noch gleich – Edward Dingsda. Netter Junge – zu gut für diesen langhaarigen Zirkus. Hat sich im Krieg ausgezeichnet, höre ich. Gut aussehender Junge. Diese blaustrümpfigen jungen Mädchen schwärmen vermutlich alle für ihn.«
    Victoria durchfuhr ein Stich verheerender Eifersucht.
    »Der ›Ölzweig‹, sagten Sie, und wo, meinten Sie, dass er ist?«
    »Oben nach der zweiten Brücke in einer der Seitenstraßen der Rashid Street. Ein wenig versteckt. In der Nähe des Kupferbasars. Und wie geht es Mrs Pauncefoot Jones?«, fuhr sie fort. »Kommt sie bald her? Ich höre, sie war leidend?«
    Im Besitz der gewünschten Information riskierte Victoria kein weiteres Geflunker. Sie blickte auf ihre Armbanduhr und rief entsetzt: »O weh, ich habe versprochen, Mrs Clipp um halb sechs zu wecken und ihr bei den Reisevorbereitungen behilflich zu sein. Ich muss eilen.«
    Die Entschuldigung stimmte, nur hatte Victoria statt sieben halb sechs Uhr gesagt. Sie lief in gehobener Stimmung hinauf. Morgen gab es im »Ölzweig« ein Wiedersehen mit Edward.
    Der Abend verlief rasch. Victoria und Mrs Clipp nahmen ein frühes Abendessen im Speisesaal ein. Letztere lud Victoria nachdrücklich ein, sie später zu besuchen, und Victoria notierte sorgfältig die Adresse, denn schließlich kann man nie wissen … Sie begleitete Mrs Clipp an die Bagdader North-Station und setzte sie fürsorglich in ihr Abteil.
    Als die Lokomotive wie eine Seele in Not laute melancholische Schreie ausstieß, steckte Mrs Clipp Victoria einen dicken Briefumschlag in die Hand und sagte: »Bloß ein kleines Dankeschön für unser so angenehmes Zusammensein, das ich Sie herzlich bitte, anzunehmen.« Die Lokomotive stieß einen letzten verzweifelten Klageruf aus und der Zug dampfte langsam aus der Halle.
    Bei ihrer Rückkehr ins Tio lief Victoria auf ihr Zimmer und öffnete begierig den Umschlag. Er enthielt zwei Paar Nylonstrümpfe. Zu jedem anderen Zeitpunkt wäre Victoria entzückt gewesen, da Nylonstrümpfe gewöhnlich unerschwinglich für sie waren, aber in diesem besonderen Moment hatte sie Bargeld erhofft. Aber es war klar, dass Mrs Clipp viel zu taktvoll gewesen war, ihr einen Fünfdinarschein zu geben. Victoria wünschte von Herzen, sie wäre weniger taktvoll gewesen.
    Aber morgen gab es ein Wiedersehen mit Edward. Victoria zog sich aus, ging zu Bett, war in fünf Minuten eingeschlafen und träumte von Edward …

11
     
    V ictoria erwachte am nächsten Morgen bei strahlendem Sonnenschein. Nachdem sie sich angekleidet hatte, trat sie auf ihren großen Balkon hinaus. Unweit von ihr saß auf einem Stuhl ein Mann mit gelocktem grauem Haar, das ihm bis tief in den muskulösen rotbraunen Nacken wuchs. Als der Mann den Kopf zur Seite wandte, erkannte Victoria verblüfft Sir Rupert Crofton Lee. Sie hätte nicht sagen können, warum sie so erstaunt war. Vielleicht weil sie als selbstverständlich angenommen hatte, dass eine so wichtige Persönlichkeit in der Botschaft und nicht in einem Hotel absteigen würde. Nichtdestoweniger war er hier und starrte mit einer gewissen konzentrierten Intensität auf den Tigris. Sie bemerkte, dass sogar ein Feldstecher über der Lehne seines Stuhles hing. Vielleicht studierte er Vögel, dachte sie.
    Victoria ging hinunter und begegnete Markus auf der Terrasse zwischen den zwei Flügeln des Hotels.
    »Ich sehe, dass Sir Rupert Crofton Lee bei Ihnen abgestiegen ist«, sagte sie.
    »O ja«, sagte Markus strahlend, »er ist ein charmanter Mann – ein sehr charmanter Mann.«
    »Kennen Sie ihn gut?«
    »Nein, ich sehe ihn zum ersten Mal. Mr Shrivenham von der britischen Botschaft hat ihn gestern Abend hergebracht. Mr Shrivenham ist ein charmanter

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