Sie kamen nach Bagdad
Bagdad«, sagte Markus Tio munter, »und jedermann kennt Markus. Oh, ich habe viele, viele Freunde.«
»Das will ich meinen«, sagte Victoria. »Kennen Sie Dr. Rathbone?«
»Vorige Woche ist der Luftmarschall, Kommandant des ganzen Mittleren Ostens, hier durchgekommen. Der sagte zu mir: ›Markus, Sie Schuft, ich habe Sie seit 1946 nicht gesehen. Sie sind nicht schlanker geworden!‹ Oh, der ist ein charmanter Mann. Ich kann ihn sehr gut leiden.«
»Und Dr. Rathbone, ist er auch ein charmanter Mann?«
»Ich weiß nicht«, sagte Markus, »er wohnt nicht im Tio.«
»Aber es gibt doch noch andere Hotels«, beharrte Victoria, »oder vielleicht hat er ein Haus.«
»O ja, es gibt noch andere Hotels. Das Babylonian Palace, das Senacherib, das Zobeide. Es sind gute Hotels, o ja, aber nicht wie das Tio.«
»Bestimmt nicht«, versicherte Victoria ihm, »aber Sie wissen nicht, ob Dr. Rathbone in einem von ihnen wohnt? Er leitet irgendeine Organisation – etwas, das mit Kultur und Büchern zu tun hat.«
Bei der Erwähnung des Wortes Kultur wurde Markus ganz ernst. »Das brauchen wir«, sagte er, »wir brauchen viel Kultur, Kunst und Musik, das ist sehr schön, wirklich sehr schön. Ich selbst schwärme für Violinsonaten, wenn sie nicht zu lang sind.«
Victoria begriff, dass sie ihrem Ziel nicht näher kam. Eine Plauderei mit Markus war sehr amüsant, fand sie, aber sie erinnerte sie an Alices Bemühen, im Spiegelland einen Weg zu finden, der auf den Hügel führte. Jedes Thema führte an seinen Ausgangspunkt zurück – zu Markus!
Sie lehnte einen zweiten Drink ab und stieg traurig von ihrem Barhocker herunter. Sie ging auf die Terrasse hinaus und stand am Geländer, auf den Fluss blickend, als jemand sie von hinten ansprach.
»Entschuldigen Sie, aber Sie täten gut daran, einen Mantel anzuziehen. Es mag Ihnen nach England wie Sommer vorkommen, aber es wird nach Sonnenuntergang sehr kalt.«
Es war die Engländerin, die vorhin mit Mrs Clipp gesprochen hatte. Sie hatte die heisere Stimme der Leute, die gewohnt sind, Jagdhunde zu dressieren. Sie trug einen Pelzmantel, hatte eine Decke über den Knien und schlürfte einen Whisky mit Soda.
»Oh, danke vielmals«, sagte Victoria und wollte schleunigst die Flucht ergreifen, aber ihr Vorhaben wurde vereitelt.
»Ich muss mich vorstellen. Ich bin Mrs Cardew-Trench.« (Es sollte deutlich heißen: eine von den Cardew-Trenches.) »Ich glaube, Sie sind mit Mrs – wie heißt sie doch – Hamilton Clipp angekommen?«
»Ja«, sagte Victoria, »ich bin mit ihr angekommen.«.
»Sie sagte mir, Sie seien eine Nichte des Bischofs von Llangow?«
Victoria fasste sich. »Wirklich?«, fragte sie mit genau dem richtigen Anflug von Belustigung.
»Sie hat vermutlich den Namen falsch verstanden?«
Victoria lächelte. »Die Amerikaner müssen manche unserer Namen falsch verstehen. Es klingt ein wenig wie Llangow. Mein Onkel«, sagte Victoria rasch improvisierend, »ist der Bischof von Languano.«
»Languano?«
»Ja – im Pazifischen Archipel. Er ist natürlich ein Bischof in den Kolonien.«
»Oh, in den Kolonien«, sagte Mrs Cardew-Trench und ihre Stimme senkte sich um mindestens drei Halbtöne. Wie Victoria vorausgesetzt hatte, überging Mrs Cardew-Trench Bischöfe in den Kolonien mit Verachtung. »Das erklärt die Sache«, fügte sie hinzu.
Victoria befand mit Stolz, dass es für eine Improvisation tatsächlich eine sehr gute Erklärung war.
»Und was treiben Sie hier?«, fragte Mrs Cardew-Trench mit jener unerbittlichen Munterkeit, die eine angeborene Neugier bemänteln soll.
Einen jungen Mann suchen, den ich nur wenige Augenblicke in einem öffentlichen Park in London gesprochen hatte – das konnte Victoria kaum erwidern. Sie sagte: »Ich gehe zu einem anderen Onkel, zu Dr. Pauncefoot Jones.«
»So, nun kenne ich mich aus.« Mrs Cardew-Trench war sichtlich entzückt, Victoria »platziert« zu haben. »Er ist ein reizender kleiner Mann, wenn auch etwas zerstreut – aber das ist ja begreiflich. Ich war voriges Jahr in London bei einem seiner Vorträge. Ausgezeichnet, obwohl ich überhaupt nicht verstanden habe, worum es sich eigentlich handelte. Ja, er ist vor vierzehn Tagen durch Bagdad gekommen. Ich glaube, er erwähnte, dass irgendwelche jungen Mädchen später nachkommen würden.«
Nachdem sie ihren Status etabliert hatte, warf Victoria eine Frage ein: »Wissen Sie, ob Dr. Rathbone hier ist?«
»Gerade angekommen«, sagte Mrs Cardew-Trench. »Ich glaube, sie haben ihn
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