'Sie können aber gut Deutsch'
lässt sich auf Gesellschaften, auch auf die deutsche, übertragen. Und wem es nicht gelingt, Vielfalt als ein positives Gesellschaftsmerkmal, als eine Bereicherung, noch nicht einmal als eine Herausforderung, mit der man umgehen kann, zu sehen, der hat immer noch die Möglichkeit, wirtschaftlich-gewinnorientiert zu denken: Schaffen wir es, das Potenzial, das Kapital einer vielfältigen Gesellschaft zu nutzen, die Gesamtheit unserer Verschiedenheiten und Gemeinsamkeiten zu erkennen und zur Gestaltung unserer Gesellschaft zu aktivieren, dann wird dieses Land davon profitieren, werden die Probleme, die Vielfalt eben auch mit sich bringt, leichter zu lösen sein. Klingt das nicht vielversprechend für diejenigen in unserem Land, für die Vielfalt nicht unbedingt eine Bereicherung ihres eigenen Lebens darstellt, die aber dem Land an sich Prosperität und internationales Ansehen wünschen? Das ist nicht meine Denkart, das ist keine Denkart, die ich persönlich sympathisch finde, aber darum geht es auch gar nicht. Unser Land besteht aus Menschen nicht nur unterschiedlicher Herkunft, was zu akzeptieren ich allen ans Herz lege, sondern genauso aus Menschen mit unterschiedlichen Meinungen und Einstellungen, die ihren Platz in einer Demokratie finden. Wenn bei uns im Haus eine griechische Familie einzieht, die Eltern beide Ärzte, die hierhergekommen und eingeladen worden sind, weil hier Mediziner fehlen, und ich mich darüber freue, weil es unser Haus noch bunter macht, weil es neue Einflüsse gibt, während die Nachbarin im Flur zu mir sagt: »Naja, so bekommen wir zumindest die Fachkräfte, die wir brauchen!«, dann ist es eine andere Sichtweise als meine. Ich muss diese andere Art der Wahrnehmung
nicht sympathisch finden, sondern nur akzeptieren. So wie die Nachbarin – aus rein wirtschaftlichen und arbeitsmarkttechnischen Gesichtspunkten – billigt, dass unser Haus und somit auch unser Land vielfältiger werden. Diese – aus meiner persönlichen Sicht unmenschliche – Denkweise, den Wert eines Menschen aus einem anderen Land ausschließlich an seinem Beitrag zum wirtschaftlichen Erfolg unseres Landes (oder eben nicht als solchen) zu messen, ist dennoch eine, die die Vielfalt, die ebendiese Menschen mit sich bringen, zumindest akzeptiert, wenn auch erst einmal aus sehr bestimmten, vernunft- und gewinngeleiteten Gründen. Sie wurde inzwischen selbst von der CDU, die der Zuwanderung als Ganzes jahrzehntelang skeptisch gegenüberstand, übernommen, insofern, als sie Einwanderungserleichterungen für Fachkräfte bestimmter Berufsspektren fordert.
Da, wo ich von einer Gesellschaft der Vielfalt, der Diversität spreche, sprechen manche von einer Gesellschaft der Toleranz und denken, wir meinten dasselbe. Ich aber möchte nicht toleriert werden. Toleranz bedeutet Duldsamkeit, Toleranz bedeutet Aushalten, Geltenlassen, irgendwie, obwohl, dennoch. Werde ich toleriert, wird hingenommen, eben ausgehalten, geduldet, dass ich da bin oder dass ich so bin, wie ich bin. Toleranz bedeutet noch nicht einmal Akzeptanz, Toleranz ist eine Haltung, die immer von oben herab kommt und einen in die Knie zwingt, erniedrigt: Ach schau mal, bin ich nicht nett, dass ich dich hier so, wie du bist, toleriere? Toleranz hat wenig mit Gleichberechtigung zu tun, auch wenig mit einem Miteinander. Toleranz baut Hierarchien auf, die aufzubrechen nicht möglich ist, weil von vornherein festgelegt ist, wer seinen Platz wo hat.
Ich erinnere mich gleichermaßen gut wie ungern an Toleranz. Als Kind wurde ich viel toleriert, toleriert, weil ich anders
war. Es wurde geduldet, dass ich angesichts von Pudding nicht in Begeisterungsstürme ausbrach, vielmehr fand, diese Speise sei nicht nur eine wackelige, sondern aufgrund dieser wackeligen Konsistenz eben auch eine sonderbare Angelegenheit, die ich nicht essen mochte. Das einzige Kind, das nicht in Begeisterungsstürme ausbrach, wenn es Pudding gab, obwohl ich ihn selbstverständlich aß, wie es mir beigebracht worden war, mich dafür bedankte und alles dafür tat, dass man mir meine Skepsis nicht anmerkte. Es wurde toleriert, dass meine Kleider, meine Schulsachen anders aussahen als die meiner Mitschüler, es wurde netterweise sogar toleriert, dass ich manchmal Hefte mit in die Schule brachte, die nicht nach DIN normiert, sondern quadratisch waren, der Umschlag ein verblichenes Grün. So hatten alle Schulhefte in der Sowjetunion ausgesehen, wo es kein DIN gab (und ja, wir lebten ganz gut damit), und meine
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