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'Sie können aber gut Deutsch'

'Sie können aber gut Deutsch'

Titel: 'Sie können aber gut Deutsch' Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Gorelik
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möglicherweise zurück, eine Reaktion, die man ihnen auch vorher schon zum Vorwurf gemacht hat. Manche mögen durch diese Entwicklung in tatsächlich radikalere, gefährliche Kreise gelangen. Kinder aus muslimischen Familien bekommen in Schulen, in Vereinen, in ihrem Alltag außerhalb des Zuhauses, außerhalb der innermuslimischen Kreise teilweise kaum eine Chance. Das hat dann in dem Moment wenig mit der Bildungsferne ihres Elternhauses zu tun, sondern vielmehr mit dem, wofür zum Beispiel die Kopftücher, die manche Mädchen tragen, inzwischen stehen: für Anti-Feminismus, für zukünftige Gebärmaschinen, für eine terroristische Bedrohung. Diese Stilisierung, diese Pauschalisierung sorgen nicht nur für eine negative, feindliche, hasserfüllte Stimmung im Land. Sie bewirken noch mehr, auch noch mehr, als »nur« Menschen, die in der so genannten Mitte unserer Gesellschaft gelebt und ihre muslimische Religion im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten ausgeübt haben, an den Rand dieser zu treiben. Sie
machen eine sachgerechte, lösungsorientierte Diskussion der realen Probleme unmöglich, die im Zusammenhang mit und innerhalb der muslimischen Minderheit in diesem Land existieren.
    Dies ist nicht nur schade, nicht nur peinlich für unsere Demokratie, es könnte auch verheerende Folgen haben.

Was Angst macht
    Wir saßen am Frühstückstisch, leicht verschlafen, knabberten an unseren Brötchen und teilten uns die Zeitung. Ich las einen Artikel, in dem nebenbei ein Student erwähnt wurde, mit Vornamen Mohammed, der bei einem Praktikum von seinem Vorgesetzten darum gebeten wurde, sich am Telefon doch bitte mit »Alexander« zu melden, das käme bei den Kunden besser an. Es ging in besagtem Artikel um Frankreich, es ging möglicherweise um den Arbeitsmarkt oder auch um junge Praktikanten, ich erinnere mich nicht mehr genau, jedenfalls ging es nicht in der Hauptsache um Mohammed-Alexander, aber ich blieb an dieser Tatsachenbeschreibung hängen und erzählte sie kurz in die Runde. »Ist das nicht unglaublich?« , fragte ich. »Dass er seine Identität verleugnen muss, um in dem Unternehmen arbeiten zu können?« Ich erwartete Zustimmung und gemeinsame Aufregung am Frühstückstisch.
    »Wieso? Das habe ich auch schon gemacht! Dann begegnen einem die Menschen doch ganz anders!«, antwortete meine Freundin, deren Nachname mit einem »ic« endet, das wie ein »itsch« ausgesprochen wird wie die meisten ex-jugoslawischen Nachnamen, seelenruhig antwortete sie mir so, ohne von ihrem Teil der Zeitung auch nur aufzuschauen.
    »Wie, du hast es auch schon gemacht?«, fragte ich erstaunt, denn meine Freundin ist keine von der schüchternen Sorte, auch keine, die sich um jeden Preis anpasst oder ihre Herkunft verleugnen würde. Sie aber nahm sich die Zeit, den Artikel, in den sie gerade vertieft war, zu Ende zu lesen, weil sie
meine Aufregung nicht verstand und mich später im Gespräch auch wieder einmal der Naivität beschuldigte.
    Ich bin nicht naiv. Ich kenne die Studien, die sich mit solchen Phänomenen beschäftigen. Ich weiß zum Beispiel, dass die Universität Konstanz 2010 herausgefunden hat, dass ein Stellenbewerber mit einem türkischen Namen eine um 14 Prozent geringere Chance hat, zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden als jemand, der sich mit denselben Voraussetzungen und dem schönen deutschen Namen Müller oder Schmidt bewirbt. Habe ebenfalls gelesen, dass die Chance auf ein Vorstellungsgespräch noch um weitere zehn Prozent sinkt, wenn es sich bei dem einstellenden Unternehmen um ein kleines handelt. Ich kenne die Studien und bin nicht naiv, bilde mir aber dennoch manchmal ein, dass die Realität in meinem Kopf (die Realität, in der ich in einem Land lebe, in dem der berufliche Erfolg eines Menschen nicht vom Klang seines Namens abhängt) der Wirklichkeit entspricht.
    »Ich habe am Telefon einfach den deutschen Nachnamen meines Stiefvaters verwendet, da waren die Menschen gleich freundlicher und offener«, erklärte meine Freundin und schien sich mit dieser Tatsache so sehr abgefunden zu haben, dass ich noch mehr erschrak. So einfach wurden die Studienerkenntnisse an meinem Frühstückstisch Realität.
    Ein paar Monate, vielleicht sogar ein, zwei Jahre später las ich in der Zeitung, dass zur Diskussion stehe, den Inder Anshu Jain, der noch nicht einmal Deutsch spricht, zum Vorstandsvorsitzenden des Traditionsunternehmens Deutsche Bank zu ernennen. Das sei nicht gut für die Stimmung in diesem Land,

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