'Sie können aber gut Deutsch'
oder erwähnt werden. Wenn ich nicht pünktlich zuhause war, wunderten sich meine Eltern nicht, wo ich blieb, weil sie davon ausgingen, dass ich bei Freunden wäre; vergaß ich anzurufen und zu sagen, wo genau ich war, starteten sie einen Rundruf. Hätte ich meine Mutter gefragt, ob mich jemand besuchen dürfe, wäre sie misstrauisch geworden ob der mitzubringenden Person: Stimmt was mit dieser Freundin nicht, wenn die Lena so fragt? Weshalb ich in Deutschland immer log, wenn ich Freunde zu mir einlud und sie antworteten: »Willst du nicht erst deine Eltern fragen?« Warum? Sie hätten niemals Nein gesagt.
Es wurde mit der Zeit nicht besser. Ein wenig vielleicht zu Studienzeiten, als alle Freunde in WGs lebten und alles ineinander zu fließen schien, es gab nicht viele feste Zeiten, Vorlesungen ließen sich schwänzen, Mitbewohner zogen ein und aus, Freunde zogen um und weiter. Dann war das Studium vorbei, man mietete sich eine eigene Wohnung, richtete sie im Ikea-Stil ein und verlieh ihr durch die eine oder andere Designer-Lampe eine persönliche Note, man wurde häuslich, fing an, Freunde zum Kochen einzuladen. Man wählt vorher in einem teuren Kochbuch ein Rezept aus, besorgt in einem Bioladen oder auf dem Markt die richtigen Zutaten, der Esstisch bekommt eine Tischdekoration verpasst, die Gäste bringen Wein und Nachtisch mit, es wird gespeist. Es wird gespeist, mit sehr guten, gar besten Freunden, man isst nach Plan und Verabredung an einem dekorierten Tisch. Ich machte und mache es genauso, ich mache sie nach, bedanke mich für den Wein, versuche, mir eine Tischdeko einfallen zu lassen, woran ich immer wieder scheitere, aber ich stelle die Bräuche nicht mehr in Frage, dazu lebe ich zu lange hier.
Zwischendrin fahre ich nach Russland, wo um eine Abendesseneinladung nicht viel Aufhebens gemacht wird, sondern man spontan bei Freunden klingelt, aber großartig unkompliziert essen kann, weil die Gastgeber gemäß russischer Gastfreundschaft den Kühlschrank plündern und ohne Kochbuch aus den vorhandenen Zutaten etwas zubereiten. Immer steht mehr auf dem Tisch, als man an einem Abend essen kann, als man dem Inhalt des Kühlschranks auch nur im Entferntesten zugetraut hätte, es gibt keine Tischdekoration, aber dafür Wodka, am Ende viele Umarmungen, ich fühle mich wohl und stelle erstaunt fest, wie entspannt ich plötzlich bin. Deutsche Freunde, die ich mit nach Russland brachte, stellten fest, wie entspannt sie waren. Weil willkommen aus vollstem Herzen.
Deniz Baspinar erzählte mir: »Wenn ich in der Türkei auf eine Party gehe, kommt sofort jemand auf mich zu und kümmert sich um mich. Wenn ich in Deutschland auf eine Party gehe, stehe ich erst eine Weile alleine herum. Ich bin auf einer türkischen Party entspannter.« Ich verstand, was sie meint, obwohl die Türkei und Russland dann doch sehr unterschiedliche Länder mit sehr unterschiedlichen Bräuchen sind.
Deniz Baspinar ist eine von denen, die einen großen Unterschied zwischen den Begriffen »Zwangsehe« und »arrangierte Ehe« macht. Begriffe wie diese, zu denen auch »Kopftuch« und »Burka« und »Frauenunterdrückung« gehören – scheinen die Debatten um Integration und insbesondere um die Muslime voranzutreiben, weil sich an ihnen so vieles festmachen lässt. Man sieht in der U-Bahn eine Frau mit Kopftuch und meint, alles über sie zu wissen: eine arme muslimische Frau, die in die Ehe gezwungen wurde, eine ungebildete Kindergebärerin ohne Mitspracherecht in der Ehe. Bleibt man jenseits der Bilder im Kopf dennoch hellhörig, dann wird man – auch ich – häufig überrascht. Weil man die Frau dann zum Beispiel in einem perfekten Deutsch telefonieren hört, wie sie Pläne zum Ausgehen schmiedet. Weil sie ein Universitätslehrbuch für BWL aus der Tasche holt und konzentriert darin liest. Es macht mir jedes Mal Freude, wenn die Assoziationen im Kopf an der Realität zerbersten. Es geht nicht allen so. Ein Professor fragte in einer Vorlesung eine Studentin mit Kopftuch, was sie in einem Uni-Hörsaal mache, wenn sie sowieso demnächst fünf Kinder bekommen und zuhause bleiben würde. Es protestierte keiner – bis auf die junge Frau selbst. Eine Entschuldigung des Professors blieb aus. Möchte man die Menschen so haben, wie man sie sich denkt? Ist die Mehrheitsgesellschaft in diesem Land tatsächlich so einfach gestrickt, dass sie auf die Schubladen,
in die sie die Menschen fein säuberlich – deutsch, am Tag der Kehrwoche gar
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