'Sie können aber gut Deutsch'
aber viel Negatives nach sich zieht. Nicht nur eine Atmosphäre der Ausgrenzung, sondern auch ein Schubladendenken, das Stammtische eigentlich nicht verlassen sollte.
Als sich all diese Menschen in derselben Schublade wiederfanden, reagierten sie. Manche von ihnen mit Unmut, manche einfach geschockt, manche zogen sich zurück, andere gingen gar. Keine dieser Reaktionen kann man ihnen verübeln. Auf jeden Fall besannen sich aber die meisten – und wenn es nur für einen kurzen Moment war – auf diesen klitzekleinen gemeinsamen Nenner, der sie alle zusammengebracht hatte. Fragten sich, was ihnen der Islam, der ihnen vorgeworfen wurde, bedeutete. Fragten sich, wenn man es anders formuliert, was sie (noch) mit dem Land, in dem sie lebten, in dem sie sich zuhause gefühlt hatten, verband. Das sie soeben in diese Schublade presste, mit der sie sich nun also zwangsweise auseinandersetzen mussten genauso wie mit all jenen, die sich dort ebenfalls wiederfanden. Vielleicht wurden sogar die so genannten tatsächlichen Integrationsverweigerer, also diejenigen, über die und deren Probleme man konkret hätte reden sollen, in eine gefährliche Art der Radikalisierung getrieben, vor der sich die Mehrheit in diesem Land so fürchtete. Aktion – Reaktion, ein physikalisches Gesetz.
Aber vielleicht steht es mir gar nicht zu, darüber zu schreiben, weil ich ja nicht gemeint bin. Deshalb fragte ich Deniz Baspinar, die türkischstämmige Zeit -Kolumnistin und Psychotherapeutin, die durchaus gemeint war. Sie sprach aus, was ich dachte, sie sprach noch mehr aus, und ich erschrak. Deniz Baspinar sprach davon, dass die Debatte um die Gefahren des Islams einen Kern sichtbar gemacht hatte, der schon immer da gewesen sei; sie sprach von einer »offen ausgesprochenen Ablehnung«, auch sie sprach von Freunden, die mit dem Gedanken spielten zurückzugehen, auch sie fragte sich: »Hat es einen Sinn?« Warum musste sie sich das fragen? Eine Zeit -Kolumnistin ohne Kopftuch, eine gebürtige Kölnerin, jemand, der im Deutschen schöner formuliert als viele »Eingeborene«, jemand, der sich selbst als »Atheistin« bezeichnet. Ist das eine Reaktion, die von all denen, die meinten, meinen zu müssen, tatsächlich gewollt ist?
Deniz Baspinar sagte: »Ich bin Atheistin, und ich werde beschuldigt, Burkas zu verteidigen. Uns wird diese Diskussion aufgedrängt.« Es klang, als wolle sie einfach ihr Leben leben, als Staatsbürgerin, die sie ist.
»Der optimistische Teil von mir«, sagte Deniz Baspinar, weil wir beide versuchten, optimistisch zu sein, nicht alles schwarz zu sehen, sondern bunt, auch nachdem wir festgestellt hatten, dass uns beiden die Multikulti-Idealisten, die das Bunte an sich liebten, die sie als »frustrierte deutsche Hausfrauen, die Bauchtanzkurse anbieten oder besuchen« beschrieb, gehörig auf die Nerven gehen, »der optimistische Teil von mir«, meinte sie jedenfalls, »sagt sich immer wieder, dass es ein Prozess ist, der seine Zeit braucht.« Sie hat Psychologie studiert, weshalb sie wahrscheinlich von einer »Phase der Verleugnung sprach«, in der sich viele daran gewöhnen müssten, vielleicht auch erst merken müssten, wie sehr sich Deutschland
gewandelt hat, sich im Wandelprozess befindet, sich noch mehr wandeln wird. Sie, die Psychologin, die gerne nach Ursachen und Gründen sucht, erklärte mir: »In Deutschland ist man auf Exklusion ausgerichtet, das ist auch im Privaten so. Kaum einer kommt einem in die Wohnung«, und ich begann zu nicken, weil ich mich daran erinnerte, wie sonderbar ich es als Kind gefunden hatte, dass sich meine neuen deutschen Schulfreunde mit mir Tage, in den Ferien gar Wochen im Voraus verabredeten: »Magst du übernächsten Samstag nach dem Mittagessen zum Spielen zu mir nachhause kommen? Ich habe meine Mama schon gefragt, das geht in Ordnung.« Ich war betroffen, weil die Mama gefragt werden musste, ob ich kommen könne, ich fühlte mich, als hätte mir jemand einen Terminzettel in die Hand gedrückt so wie die Sprechstundenhilfe beim Arzt. Ich war verwirrt, weil die Uhrzeit »nach dem Mittagessen« lautete, um deutlich zu machen, dass ich zuhause zu essen hatte, und ich wollte eigentlich nicht mehr hin. In Russland hatte ich meine Freunde, auch gerne mehrere auf einmal, nach der Schule spontan mit nachhause gebracht, wir stampften in unseren schneeverschmutzten Stiefeln in den Flur und riefen einfach »Hallo«, dass sie mitessen würden, verstand sich von selbst, das musste nicht angekündigt
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