'Sie können aber gut Deutsch'
ist, ist die Überfremdung dann schon erfolgt, oder steht sie erst kurz bevor? Und woran erkennt man diese? Daran, dass ein Drittel der Arbeitnehmer in der Mittagspause statt einer Leberkässemmel einen Döner isst? Ach nein, das machen ja schon längst die nicht-vegetarischen neunzig Prozent der Mitarbeiter, denn Döner ist ja fast schon deutsch, nur eben türkisch, »mit ohne scharf«.
Fremd macht Angst, weil fremd – wie der Begriff schon sagt – fremd ist. Und fremd kann so gut nicht sein, denn fremd ist anders. Und anders, ja, vor anders hat man Angst. Man hat vor allem Angst vor vermeintlichen Parallelwelten, die einem fremd sein könnten und deren tatsächliche Existenz höchst fragwürdig ist. Aus geometrischer Sicht sind Parallelen Geraden, die in einer Ebene liegen und einander nicht schneiden; fraglich ist, ob dies auch Gültigkeit hat, wenn man die urdeutsche Bevölkerung als eine Linie ansieht, eine bestimmte Gruppe von Migranten als die andere. Dass sie sich gar nicht, an keiner Stelle berühren (allenfalls in der Unendlichkeit). Noch nicht einmal beim Drängeln um einen Platz im Bus, oder gilt das nicht als Berührungspunkt? Und wenn die Diskussion um Parallelwelten nicht so genau genommen werden kann wie eine mathematisch-geometrische und es eigentlich nur um die Symbolik geht: Wer legt denn fest, wie viele
Berührungspunkte die Parallelen haben müssen, damit die Kritik an den angeblich komplett abgeschotteten Parallelwelten ein Ende findet? Wie groß, wie ausführlich, wie ehrlich, wie herzlich müssen diese Berührungspunkte sein? Und möchten wir alle überhaupt miteinander in Berührung kommen? Müssen wir das möchten? Und gibt es nicht unzählige Gruppen innerhalb dieses Landes, die ganz unabhängig von ihrer Herkunft geschweige denn Nationalität in ihren – so müssten dann auch sie genannt werden – Parallelwelten leben und niemals miteinander in Berührung kommen? Die Bewohner der hippen Berliner WGs sind aus Sicht einer seit Generationen denselben Hof betreibenden Bauersfamilie im Frankenwald mit Sicherheit eine Parallelwelt. Aber ist das für einen von beiden ein Problem? Für das wir gar einen Integrationsgipfel bräuchten?
Die Polemik, die Fragen. Es ist ja nur wegen der Angst.
Parallelwelten von Migranten existieren nicht in dieser vollkommen abgekapselten Form, auch wenn die Konnotation des Begriffs das vermuten lässt. Sie existieren so, wie beispielsweise auch die Parallelwelten von evangelischen und katholischen Christen in diesem Land schon lange nebeneinanderher existieren. Auf dieselbe Weise, in der sich Menschen, die etwas miteinander verbindet, nun einmal zusammenfinden. Das ist eine Form des Zusammenlebens, die zu jeder Gesellschaft gehört. Man muss sich nur an seine Schulzeit erinnern, daran, dass die Latein liebenden Streber in der Klasse mit den coolen, Skateboard fahrenden Schönlingen nichts miteinander zu tun hatten, sich meist noch nicht einmal grüßten, obwohl man in dieselbe Klasse ging. Parallelwelten innerhalb einer Klassengemeinschaft, das haben alle Schulen, alle Schüler, alle Klassen überlebt.
Der Vermieter unserer ersten gemeinsamen Wohnung sah
aus wie ein Bayer, wie er im Buche steht, und war es auch. Zwirbelbart, ein Deutsch, das schwerlich als solches zu bezeichnen war, also sagen wir ein Bayerisch, das entfernt ans Hochdeutsche erinnerte, CSU-Aufkleber am Auto und im Keller ein »Stüberl«, das wir für Partys hätten mieten können, »ein ganz besonderes Schmankerl«. Die Stube ließ mich mit ihren blau-weißen Tischdecken auf den mit Schnitzereien versehenen Landhaus-Holztischen und dem spärlichen Licht, das durch die Fenster fiel, die beinahe an der Decke begannen, frei-assoziativ und wieder ganz subjektiv an Hitler denken, der mit seinen Kumpanen heimlich in diesem Keller die Machtübernahme plante, was so natürlich nicht stimmte, weil das Haus damals noch nicht stand. Der bayerische Vermieter jedenfalls erzählte uns bei der Wohnungsbesichtigung, dass unser Vormieter hauptsächlich »in der Türkei und so anderen Ländern arbeitet, wo unsereins noch nicht einmal Urlaub machen möchte«, und ich biss mir im nicht-übertragenen Sinne auf die Zunge und verkniff mir den Satz »Wieso, ich würde dort gerne Urlaub machen!«, weil ich die Wohnung unbedingt haben wollte. Und später, als er mit ebendiesem Vormieter in einem dieser Länder, »in denen unsereins noch nicht einmal Urlaub machen möchte«, wegen der Küchenablöse telefonierte,
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