'Sie können aber gut Deutsch'
wünschte er ihm tatsächlich am Ende des Telefonats »mit den Andersartigen« viel Glück. Ich saß auf der Sofakante, bereit aufzuspringen, obwohl ich sitzen blieb, und fragte mich, ob mein Mann, der zum Glück das erste Telefonat mit dem Vermieter geführt hatte, er, der sich mit seinem deutschen Nachnamen melden konnte, nicht ich, die Gorelik, erwähnt hatte, woher ich ursprünglich komme. Oder würde der deutsche Pass den Namen wieder wettmachen? Staatsbürgerschaft gegen Herkunft?
Wir zogen für die nächsten zwei Jahre bei ihm ein.
Woher, wovor die Angst – vor den Andersartigen in der Türkei? Vor der Andersartigkeit der Türken? Was können sie uns tun? Nehmen sie uns etwas weg? Was nehmen sie einem dort, in ihren Ländern, »in denen unsereins noch nicht einmal Urlaub machen möchte«, weg? Die Kamera? Meine wurde auf dem Münchner Marienplatz geklaut.
Nehmen Kinder einem etwas weg, unschuldige Kinder? Wovor hatten die Eltern Angst, die in Hamburg beim Volksentscheid um die Schulreform 2010 in die Wahlkabinen strömten, um dafür zu votieren, dass nicht alle Kinder möglichst lange dieselben Chancen erhalten sollten? Wollten sie ihre eigenen Sprösslinge von den anderen, den Migranten aus bildungsfernen Familien, trennen? Wovor wollten sie ihre Kinder bewahren? Vor andersartigen Kindern? Die was tun könnten? Den Kindern – Kindern, wohlgemerkt, spielenden, lernenden, streitenden, lachenden, süßen Kindern – die Jobs wegnehmen? Später einmal? Oder jetzt schon eine gute Note? Hatten sie Angst, dass ihre Kinder überfremdet würden? Inwiefern? Dass sie plötzlich nachhause kämen und Türkisch statt Deutsch sprächen? Oder Deutsch-Türkisch? Vor dieser Art der Überfremdung hatten sie Angst?
Ich stelle diese Fragen, weil ich es wirklich nicht verstehe.
Je höher das Einkommen der Abstimmenden, desto höher die Wahlbeteiligung, las ich am Montag nach dieser meiner Meinung nach verheerenden und wegweisenden Volksabstimmung in den Wahlanalysen. Je höher das Einkommen, desto höher die Bildung, das kennt man ja aus Deutschland. Bildung schützt aber nicht vor der Angst vor Überfremdung. Das ist nicht nur erschreckend im Hinblick auf das, was Bildung bei uns wohl bedeutet, sondern auch peinlich.
Mir zumindest.
Und wann verschwindet die Angst? Was muss man tun,
wie weit muss man gehen? Wann traut man einem, wann ist die Gefahr gebannt? Konkret gefragt: Die Hamburger Eltern, die ihren Nachwuchs vor der Überfremdung durch Migrantenkinder (hier habe ich noch eine subjektive, unzensierte Assoziation aus meinem Kopf, kommentarlos, im Angebot: Zigeunerkinder) schützen wollten, hätten sie sie auch vor meinen Kindern schützen wollen? Die mit mir und den Großeltern Russisch sprechen, die russische Kinderlieder kennen und singen und russische Sauerampfersuppe lieben? Oder hätte ihr deutscher Nachname sowie der Deutsch sprechende Vater dies wettgemacht? Ich würde meine Kinder gerne vor dem Nachwuchs der Eltern, die ihren Kleinen solche Gedanken einpflanzen, schützen, aber das geht ja nicht.
Was kann, muss man tun? Deutsch zu beherrschen reicht ja offensichtlich nicht, sonst müsste meine Freundin nicht das Gefühl haben, ihren »ic«-Nachnamen am Telefon verschweigen zu müssen. Sich zum Land bekennen, aber wie? Sich ein Schild um den Hals hängen, auf dem steht »Ich bekenne mich zu Deutschland!«? Bei Fußballspielern der deutschen Nationalmannschaft scheint es zum Beispiel von der Frage abzuhängen, ob sie die deutsche Nationalhymne vor einem Länderspiel mitsingen oder nicht. Warum? Was sagt es aus? Über sie, über uns, die wir das beobachten oder, schlimmer noch, über unser Land? Ich habe versucht, dieses Phänomen in internationalen Medien wiederzufinden, aber weder die Franzosen noch die Amerikaner scheint die Frage zu quälen, ob die »Migrations«-Fußballer ihrer Nationalmannschaften die Landeshymne singen oder nicht. Uns hingegen hat, der Berichterstattung nach zu urteilen, die Frage, ob Podolski, Khedira und Özil nun mitsingen (werden) oder sich verweigern, man beachte die Wortwahl, kaum weniger beschäftigt als die nach ihren Spielfähigkeiten. Dabei hat eine EMNID-Umfrage bereits 2009 ergeben,
dass noch nicht einmal jeder zweite Deutsche den Text der Nationalhymne beherrscht. In meinem Bekanntenkreis gibt es übrigens den einen oder anderen »Ultralinken« mit urdeutschen Wurzeln, urdeutschem Namen und urdeutschen Vorfahren, die niemals und unter gar keinen Umständen die deutsche
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