'Sie können aber gut Deutsch'
Sprache stehe? Schlecht, schwere Sprache. Interesse daran, sie zu lernen? Nein. Keine Zeit. Und wozu? Diese letzte Frage richtet sich an mich.
Irgendwann zwischen den Fragen legt die Frau ihr Kopftuch ab, und zum Vorschein kommen lange, wunderschöne, dunkelrote Locken, die sie einmal schüttelt, und sie lächelt mich wieder schüchtern an, und man kann sich gut vorstellen, dass diese Frau mit den langen, außergewöhnlichen Haaren und den dunklen Augen das andere Geschlecht anzieht, was das Kopftuch laut der muslimischen Religion ja gerade verhindern soll. Diese Frau lebt in ihrer eigenen Welt, nicht in Deutschland. Es ist keine palästinensische Parallelwelt, auch keine muslimische, in der sie andere Islamisten trifft, um mit
ihnen den Untergang des Westens zu planen. Es ist die ihre. Sie kümmert sich um ihre Kinder, die Größeren bringt sie zur Schule und hofft, dass die Lehrer sie nicht ansprechen werden, weil sie sie nicht verstehen würde. Sie geht ungern zum Arzt, aus demselben Grund. Sie kauft ein, sie kocht, manchmal geht sie mit den Kleineren auf den Spielplatz, sie sorgt dafür, dass die Wohnung so blitzblank aussieht, wie sie es tut, und manchmal spricht sie per Skype mit ihrer riesengroßen Familie in Palästina. Mit Menschen in Deutschland spricht sie nicht, weder mit den Deutschen noch mit anderen Zuwanderern. »Keine Freunde.« Sie sieht nicht unglücklich aus, wenn sie das sagt, auf Arabisch, versteht sich. Es ist ihre Welt. Die Kinder sitzen auf dem Boden und essen Süßkram, und als eines der Mädchen einen Teil der Verpackung, mit der sie gespielt hat, auf den Boden fallen lässt, sagt die Mutter nur ein kurzes Wort, und das Kind steht gehorsam auf, sammelt den Müll ein, bringt ihn weg, und das Zimmer ist wieder blitzblank.
Der Mann sagt, man wechsele das Land, aber nicht die Religion, ihm sei wichtig, dass die Kinder in der muslimischen Tradition aufwüchsen. Er sagt, die Deutschen sprächen zu schnell, sie seien zu schnell. Er arbeitet, mal hier, mal dort, worüber er nicht sprechen möchte, er sagt, sie leben gut. Den Eindruck habe ich auch, es ist nicht meine Art zu leben, auch nicht die der Menschen, die ich kenne, für sich genommen aber sind sie eine stabile Familie, die in ihrer eigenen Welt, in ihrem Alltag, in ihren Strukturen gut zurechtkommt. Zum Abschied bietet man mir Wasser an. Zum Abschied, weil es sich ihrem Brauch nach so gehört; die deutsche Gepflogenheit, gleich zu Beginn eines Besuchs ein Getränk anzubieten, ist in ihren Augen eine Geste der Unhöflichkeit, so als wollten die Gastgeber sagen: »Gehst du bitte gleich wieder?« Auch darin unterscheiden sich unsere Welten.
Als ich gehe, nachdem ich mein Wasser getrunken habe, bedanke ich mich bei der Frau, und sie schaut zu ihrer Tochter und fragt diese etwas. Das Mädchen sagt »bitte« auf Deutsch, und die Mutter wiederholt es schüchtern, lächelnd und ein wenig stolz: »Bitte.«
Dann stehe ich draußen in der grellen Sonne und muss erst einmal wieder ankommen in dieser Welt. Ich schaue zum Spielplatz, Kinder auf dem Klettergerüst, es hätten die Kinder der Familie K. sein können, sie sprechen alle Deutsch miteinander. Neben den Sandkästen bei den kleineren Kindern Mütter, Mütter in Hijabs, die nicht miteinander reden. Ein Auge auf ihre Kinder, manchmal diese ermahnend, worauf die Kinder sofort brav reagieren, wie meine es nie tun. Die Mütter sitzen auf der Bank, sonst nichts.
Integrationsverweigerer, ein fragwürdiger Begriff. Und die Realität? Frau K. möchte kein Deutsch lernen, sie möchte keine Menschen in diesem Land kennenlernen, sie möchte einfach nur in ihrer eigenen Welt leben, ohne zu stören, aber auch ohne gestört zu werden. Dass diese sich in einem Land namens Deutschland befindet, ist ihr mehr oder weniger egal, solange die Kinder sicher sind, solange es nicht so gefährlich für sie ist wie in Palästina. Integration? Sie entscheidet sich nicht explizit dagegen, sie denkt einfach nicht darüber nach, weil sie in ihrer eigenen Welt ihr eigenes Leben lebt, mit dem sie zufrieden ist. Sie hat nichts gegen Deutschland, sie hat aber auch nichts dafür übrig. Sie gehört zwar nicht zu den berühmt-berüchtigten kurdisch-libanesischen Clans in Berlin-Neukölln, Integrationsverweigerung nennt man das trotzdem.
Sie ist nicht die Einzige, der es so geht. Es leben viele Menschen in diesem Land, die dies nicht wirklich tun. Die ihr altes Leben, so gut es ging, nach Deutschland herübertransportiert
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