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'Sie können aber gut Deutsch'

'Sie können aber gut Deutsch'

Titel: 'Sie können aber gut Deutsch' Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Gorelik
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haben, darauf bedacht, dass nichts zerbricht, auseinanderfällt
 – wobei damit nicht Möbel, nicht konkrete Gegenstände gemeint sind, sondern umso mehr Bräuche, Traditionen, der Alltag, die Religion, die Lebensart an sich. Die ihr altes Leben einfach aus Palästina, der Türkei, Russland oder dem Libanon nach beispielsweise Berlin-Neukölln, München-Hasenbergl, Köln-Kalk, Hamburg-Billstedt verpflanzt haben. Die ihr Leben hier weiterleben, so als wären sie noch dort, nur dass die Umgebung jetzt eine andere, die politische Situation ungefährlicher und stabiler, die wirtschaftliche unproblematischer ist. Sie kapseln sich ab, vielleicht nicht vordergründig, um sich abzukapseln, sondern einfach, weil ihr Leben, an dem sie so sehr festhalten, so anders ist, dass es sich nur in dieser Kapsel leben lässt.
    Und das geht nicht. Da sind die Sarrazins dieses Landes und ich uns ausnahmsweise sogar einig.
    Nein, die meisten Menschen mit Migrationshintergrund leben nicht in einer solchen Kapsel, auch nicht die meisten Muslime oder Araber oder das Gros irgendeiner anderen ethnischen Gruppe, die man gerade zum Sündenbock auserkoren hat. Ich kenne hochgebildete Russen und Ukrainer, die von sich offen und ohne jegliche Scham sagen würden, dass Deutschland sie nicht interessiert, die zu russischsprachigen Ärzten gehen, russischsprachiges Fernsehen schauen, russischsprachige Zeitungen und Bücher lesen, nicht wissen, wer unser Bundespräsident ist, wahrscheinlich noch nicht einmal, dass es einen gibt. Es auch nicht wissen wollen. Es sind nicht immer die Muslime.
    Dass dieses Verhalten nicht in Ordnung ist, sollte sich von selbst verstehen.
    Wer in diesem Land lebt, muss ein gewisses Fünkchen Interesse daran mitbringen. Eine Bereitschaft, es samt seiner Menschen kennenzulernen. Und wenn es auf der kulinarischen
Ebene beginnt: einfach mal Grünkohl probieren (es muss ja nicht der Schweinsbraten sein). Wer in diesem Land lebt, der muss sich in erster Linie im Klaren darüber sein, dass er es tut. So banal ist das. Man muss sich im Klaren darüber sein, dass man nicht mehr im Land seiner Herkunft lebt, sondern in einem Land mit anderen Bräuchen, anderen Sitten, einer anderen Sprache, einer anderen Kultur. Und dafür muss man in seinem Gepäck Interesse mitbringen. Man muss nicht seine alte Kultur gegen diese neue eintauschen, so wie man eine Winter- gegen eine Sommerjacke tauscht. Man muss sie noch nicht einmal mögen. Man muss aber dazu bereit sein, sie kennenzulernen und zu akzeptieren, dass es Lebensweisen abseits der eigenen gibt. Das wiederum funktioniert nur, wenn beide Seiten so denken. Das Interesse, die Akzeptanz des jeweils Anderen, Fremden, die Bereitschaft, anderen Mentalitäten zu begegnen. Dies alles ist Pflicht für jene, die in diesem Land leben wollen.
    So genannte Parallelwelten werden meist mit Wohnghettos in Zusammenhang gebracht, auch damit gleichgesetzt. Eine Stadt, die Politiker, die sie regieren, können einer solchen Ghettobildung entgegenwirken. München zum Beispiel, das mit 23,4 Prozent rein statistisch einen höheren Ausländeranteil hat als Berlin, sogar als Berlin-Neukölln, hat im Vergleich zu anderen Städten weitgehend erfolgreich verhindert, dass richtige Ghettos entstanden sind. Das hat natürlich auch mit München als Stadt zu tun, damit, dass sie als wirtschaftlicher Anziehungspunkt viele hochgebildete, leistungsorientierte Zuwanderer anlockt. Es hat aber auch damit zu tun, dass man darauf geachtet hat, dass der Wohnungsmarkt in den Stadtteilen, die sich der Gefahr einer möglichen Ghettoisierung ausgesetzt sahen, zu je gleichen Teilen aus frei finanzierten Mietwohnungen, Eigentumswohnungen sowie
aus sozialem Wohnungsbau bestehen. Neben solchen politischen Maßnahmen sind aber auch die so genannten Ghettobewohner selbst in der Pflicht, sich – auf einer emotionalen, auf einer lebensnahen Ebene – zu öffnen.
    Indem sie ihre Häuser, ihre Herzen, ihr Leben ihnen fremden Menschen – den Deutschen – öffnen.
    Sich zu öffnen kann für den Einzelnen leichter sein, als man denken mag. Am einfachsten kann es durch Kinder geschehen, die Kindergärten oder Schulen besuchen und dort mit deutschen Kinderliedern, Bräuchen, Festen etc. konfrontiert werden. Bringt man dem, was die eigenen Kinder und Enkelkinder erleben und leben, ein Interesse entgegen, bringt man zwangsweise auch Deutschland ein Interesse entgegen und lernt es ein bisschen kennen. Das, was man kennenlernt, muss man nicht

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