'Sie können aber gut Deutsch'
Gegenwart und Zukunft er sich trotz eines vollen Terminkalenders mit euch zu diskutieren die Zeit genommen hat? Warum reduziert ihr ihn auf die eine Tatsache, dass seine Eltern nicht hier geboren sind? Ich bin als russisch-jüdische Deutsche, wie ich manchmal bezeichnet werde, an der EU- oder USA-Politik nicht weniger interessiert als an Putins Machenschaften und dem Siedlungsproblem im Westjordanland, stell dir das mal vor! Meinen anderen Bekannten wollte ich ebenso gerne zurechtweisen, ihm Empfindlichkeit und Übersensibilität vorwerfen, ihm sagen, dass diese Art von Interesse doch nachvollziehbar sei. Ich wollte gerne aus dem Deutschen ins Deutsche übersetzen.
Angst machen weiterhin Diskussionen. Begrifflichkeiten, Assoziationen, die in diesen auftauchen. Auch die letzte um Thilo Sarrazins Buch, ob ihrer Heftigkeit, ob ihrer Auswirkungen, ob ihrer Allgegenwärtigkeit in allen Milieus und Schichten, ob ihres Wandels von: Sarrazins Äußerungen sind »nur verletzend« zu »Multikulti ist gescheitert« aus dem Munde derselben bundesdeutschen Kanzlerin. Ob der Wortwahl dieser gesamten Debatte. Die mich an den Geschichtsunterricht erinnerte, in dem wir lernten, Jahr für Jahr wiederholten, wie der Antisemitismus, damals in der Schule meist noch Judenhass genannt, sich auf solch verheerende Weise ausbreiten konnte, wo der Nationalsozialismus seine Wurzeln hatte, warum er so viele Anhänger fand. Zum Beispiel, wenn die Diskussion, ob muslimische Schülerinnen und Schüler am gemischten Sport-, Schwimm- oder Sexualkundeunterricht teilnehmen müssen, einen unwillkürlich an die Diskussion aus den zwanziger Jahren denken lässt, ob jüdische Schüler am Samstag den Schulunterricht besuchen müssen oder aufgrund ihrer Religion, in der der Samstag als Schabbat heilig ist,
zuhause bleiben dürften. Dürfen sie nicht, später kommen sie ins KZ. Solche Gedanken machen Angst. Genauso wie die alte Dame, die aus dem Bus aussteigt, während gleichzeitig zwei Jugendliche mit, wie sagt man das politisch korrekt, leicht ausländischem (?) Aussehen einsteigen wollen. Sie wollen nicht drängeln, sie haben die alte Dame nicht rechtzeitig gesehen, weil sie den Busausgang ein paar Sekunden nach allen anderen Fahrgästen erreicht hat. Sie raunzt die Jugendlichen an: »Erst aussteigen lassen, dann einsteigen!« und fügt hinzu: »So macht man das bei uns in Deutschland.«
Und wenn dann jemand mal wieder sagt: »Du bist doch nicht gemeint!«? Dann hat er oder sie recht. Ich doch nicht. Ich bin doch Jüdin, also Teil der großen deutsch-jüdischen Tradition, auf der dieses Land basiert, wie man jüngst immer häufiger hört. Diesmal bin ich nicht gemeint, diesmal sind die Muslime gemeint, ich bin aus dem Schneider. Die Angst aber, sie bleibt.
Es ist ein ganz klein wenig die Angst, dass ich eines Tages – wieder – gemeint sein könnte. Es ist vor allem aber die Angst, meine Kinder in einem Land aufwachsen zu lassen, in dem Gedanken dieser Art mehrheitsfähig sein könnten. Liebe Kinder, was habt ihr heute in der Schule gelernt? Die Muslime, die sind böse, die haben eine andere Religion.
Angst machen außerdem Nachrichten, wie die um die so genannten Döner-Morde. Dass diese Nachrichten zum Beispiel diesen Begriff – Döner-Morde – verwenden, ohne in Frage zu stellen, dass dieser verharmlost, weil nicht Döner, sondern Menschen ermordet wurden, dass der Begriff die Opfer gleichzeitig ausbürgert, sie zu Fremden macht. Angst macht, dass man Kleinunternehmern mit ausländischen Wurzeln pauschal unterstellt hat, Verbindungen zur Mafia zu haben. Dass man Jahre später – überrascht (warum überrascht?)
– feststellt, dass die Kleinunternehmer nur aus einem Grund ermordet wurden: Weil sie eben ausländische Wurzeln hatten. Dass die Mörder wohl keinerlei Probleme hatten, Freunde zu finden. Dass die Ermittler lange Zeit keinen Grund sahen, weiter in diese Richtung zu ermitteln. Dass diese rechtsextreme Bewegung wohl weit verbreiteter ist, als man im – zumindest meinem Münchnerischen – Alltag ahnt. Ein wenig über die Angst hinweg hilft, dass diese makabre Wortwahl auffällt und der Begriff »Döner-Morde« immerhin zum Unwort des Jahres 2011 gekürt wurde.
Ob diese Ängste – auf dieser ebenso wie auf der anderen Seite – (und schon wieder spreche ich von Seiten. Warum?) berechtigt sind oder nicht, lässt sich nur herausfinden, wenn man miteinander redet. Einander fragt: »Ich habe da so eine Angst. Ist es berechtigt zu
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