'Sie können aber gut Deutsch'
sagt: »Ich habe es knapp nicht auf die Realschule geschafft«, und sein
Mentor, anstatt mit Binsenweisheiten aufzuwarten, antworten kann: »Das macht nichts, ich war auch auf der Hauptschule, und jetzt studiere ich Maschinenbau im zweiten Semester«, dann ist das viel wert.
»Mir gefällt die Idee, dass man eine Vorbildfunktion erfüllt, dass man jemandem etwas geben kann, anstatt nur zu nehmen. Und ich verbringe einfach gerne Zeit mit Kubilay«, sagt Dilek K., die in Stuttgart geboren ist, inzwischen hier studiert und sich einmal die Woche Zeit für einen Jungen nimmt, der ab und zu Schwierigkeiten in Deutsch und Englisch hat und sie in Kinofilme wie »Jerry Cotton« schleppt.
»Ich finde das mit der Nachhilfe besser, als ich gedacht habe, weil die Dilek jetzt irgendwie zur Familie dazugehört«, sagt Kubilay Seriöz, der in Izmir geboren wurde und sich nicht mehr genau erinnern kann, ob er mit fünf oder mit sechs Jahren nach Deutschland kam und mit seiner Mentorin auch mal vier bis fünf statt den vorgesehenen zwei Stunden am Nachmittag lernt.
Menschen, die aufeinandertreffen und sich mögen. Als Menschen in erster Linie, nur bedingt als Helfer und zu Helfende. »Es geht um eine Gegenseitigkeit des Lernens. Es geht um hierarchiefreie, gleichberechtigte Begegnung«, fasst Sabine Böhlau, die ein ähnliches Mentoring-Projekt in München für das Flüchtlingshilfswerk Refugio leitete, das Konzept zusammen. 87 Tandems hat sie zusammengebracht, Mentoren und Mentees, die sich auf Augenhöhe begegnen. In den Stunden, die sie miteinander verbringen, geht es nicht darum, etwas zu tun, etwas zu verändern, zu helfen, es geht um die gemeinsam verbrachte Zeit. Die Grundidee dahinter: Nur weil jemand immigriert ist, steht er nicht weiter unten in der Gesellschaft. »Integration kann nur durch Dialog, durch Veränderung beider Seiten gelingen«, sagt die evangelische Theologin. Sie
weiß, wovon sie spricht, in ihren Tandems wird diese Art der Integration gelebt.
Ein vereinsamter Mann aus Äthiopien, der aufgrund einer Krankheit nicht zurück in die Heimat kann, findet Familienanschluss. Ein einsames Rentnerehepaar findet in einem albanischen Mädchen eine Art Enkelin. Ein türkischer Mann, dessen Familie die Geburtstage nun am liebsten mit der palästinensischen Familie feiert, die ihm beim Mentoring-Projekt zugewiesen wurde. Die Grenzen zwischen Mentor und Mentee verwischen. Man spricht es nicht aus, weil es so selbstverständlich ist: nämlich dass beide Seiten voneinander profitieren. Von der Begegnung profitieren, anstatt dass einer sich in dem Gefühl sonnt, vermeintlich ein besserer Mensch zu sein, weil er einem Flüchtling hilft.
Der Unterschied ist klein, die Grenze unscharf: Wo hört der so genannte Gutmensch auf, wo fängt der gute Mensch an? Refugio ist eine Hilfsorganisation, bei der Konsens ist, dass Flüchtlinge, Migranten dieses Land reicher machen. Sabine Böhlau hat einen Instinkt für diese Grenze. Zu ihrer Arbeit gehört auch das Aussortieren. »Wir suchen Menschen, die neugierig sind, gespannt auf andere Kulturen, die ihre Mentees kennenlernen wollen.« Meldet sich jemand bei ihr, weil er gerne mitmachen möchte, versucht die evangelische Theologin erst einmal, die Motive der Freiwilligen zu erforschen: Warum nimmt er sich so viel Zeit? So scheiden gelangweilte Hausfrauen, die »die Armen« unterstützen wollen, aus, so werden Karrieristen, die etwas ehrenamtliches Engagement für ihren Lebenslauf gebrauchen können, wieder nachhause geschickt. Es bleiben diejenigen, die keine Anerkennung wollen, sagt Böhlau. Immer mehr Berufstätige sind das, immer mehr Männer, immer mehr Migranten.
Wer auf der anderen Seite steht, wem also geholfen werden
soll, muss sich den Spürsinn für diese Grenze nicht erarbeiten. »Oh, ich wusste immer sehr genau, wer die Gutmenschen waren. Das spürt man sofort. Die Aussagen über die ungarische Gesellschaft trafen, natürlich, ohne eine einzige Frage zu stellen. Oder die mir ungefragt Kleiderspenden brachten für meine arme ungarische Verwandtschaft, ohne sich auch nur zu erkundigen, ob ich arme ungarische Verwandte habe«, erzählt Zsuzsa C., die in den Achtzigern als Studentin nach Deutschland kam. Wie schwierig das Einleben auch manchmal war, wie bedürftig ihre finanzielle Situation anfangs, »lieber nahm ich gar keine Hilfe an, als die von Gutmenschen«.
Inwiefern der Begriff Gutmensch in diesem Zusammenhang angebracht ist, sei dahingestellt. Zu häufig, zu
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