'Sie können aber gut Deutsch'
der ersten Generation von der beruflichen »Integration« abgehalten und Deutschland um viele dringend benötigte hoch qualifizierte Fachkräfte gebracht hat. Ein Problem, das heute noch besteht, wie mir eine Beamtin im Amt für Migration in München erzählt, weil nämlich in Bayern bei der Anerkennung von Diplomen von den zuständigen Ministerien teils zusätzliche Hürden aufgebaut würden, die rechtlich gar nicht zulässig seien. Aber da niemand gegen die Vorgehensweise klage, ändere sich nichts.
So werde die Anerkennung eines vorhandenen Diploms teils daran gekoppelt, dass bereits Deutschkenntnisse auf hohem Niveau vorhanden sein müssten – eigentlich zwei Paar Schuhe –, oder es würden über das erforderliche Maß hinausgehende zusätzliche, gebührenpflichtige Dokumente gefordert.) Weil ich aber gesehen habe, dass meine Eltern auch bereit waren, auf einem niedrigeren Niveau zu arbeiten als in Russland, und weil nichts anderes in meiner Familie akzeptiert worden wäre, nicht deshalb, weil ich besonders fleißig oder begabt oder integrationswillig bin, verdiente ich mir meine gesamte Schulzeit hindurch etwas dazu: mit Babysitten, Zeitungen austragen, in den Ferien in einer Fabrik – und machte während des Studiums brav so weiter. Hatte in dieser Zeit aber zum Beispiel einen guten Freund, mit dem ich gerne zu Partys ging, der einen ähnlichen Hintergrund hatte wie ich, dessen Familie in ihren vielen Jahren in Deutschland aber weder Arbeit gesucht noch gefunden hatte. Er empörte sich später ziemlich lange darüber, dass ihm in den Monaten zwischen dem Ende seiner Schulzeit, in der er über die Sozialleistungen seiner Eltern mitfinanziert wurde, bis zum Beginn seines Studiums, für das er selbstverständlich BAföG erhielt, keinerlei Leistungen vom Staat zustünden, so dass er sich vor dem Studium und nach dem anstrengenden Abitur nun nicht erholen konnte, sondern tatsächlich arbeiten musste. Es war dieselbe Zeit, in der ich vor dem Studium und nach dem anstrengenden Abitur ein Praktikum machte und nebenbei jobbte, um schon einmal Geld fürs Studium anzusparen, denn im Gegensatz zu ihm, so hatte ich im Vorfeld ausgerechnet, würde ich nicht den vollen BAföG-Satz erhalten, da meine Eltern ihrerseits so dumm waren, in körperlich anstrengenden, sie intellektuell in keiner Weise befriedigenden und auch sonst eher unangenehmen Jobs zu arbeiten. Somit verdienten sie
zwar nicht genug, um mein Studium komplett zu finanzieren, aber dann doch so viel, dass der deutsche Staat völlig zurecht keine Veranlassung sah, mich zu unterstützen. Wir empörten uns also beide, er sich über den deutschen Staat und ich mich über ihn sowie alle anderen, die unserem Sozialstaat gegenüber eine solche Anspruchshaltung entwickeln, immer erwarten, immer meinen, er, der Staat, müsse, müsse, müsse. Während sie nicht, nichts müssten. Als schulde man ihnen etwas, aber wofür? Das konnte mir noch keiner erklären. (Eine Haltung, die übrigens durchaus nicht nur in Migrantengruppen anzutreffen ist; dennoch empört sie die meisten umso mehr, wenn sie von Menschen kommt, die teilweise noch nicht einmal hier geboren wurden, die – wie in meinem Falle durch Zuwanderung als Kontingentflüchtlinge – eingeladen wurden, hier zu leben. Eine besondere Empörung, die ich nicht teile – weil ich nicht zwischen »Ihr« und »Wir« unterscheide –, aber nachvollziehen kann. Ich muss aufgrund dieser Einladung nach Deutschland nicht mein Leben lang mit einem Gefühl der ewigen Dankbarkeit herumlaufen, ich möchte irgendwann einfach der Teil dieses Landes sein, als der ich mich fühle. Ich darf aber auch nicht nur eine einseitige Anspruchshaltung an den Staat mit nach Deutschland bringen, sonst nichts.)
Ich verleugne also nicht nur nicht die Existenz solcher Einstellungen zum (Sozial-)Staat, ich verurteile sie – vielleicht noch mehr als jeder andere, da ich sie und ihre Argumentation von innen heraus kenne. Sie, die Einstellungen, existieren, weil der Mensch nun einmal so ist, faul und träge und überzeugt, im Recht zu sein, Ansprüche zu haben. Ich glaube aber nicht, dass diese Einstellungen in bestimmten ethnischen Gruppen häufiger vorkommen als in anderen, wie man in letzter Zeit immer wieder gehört hat. Die Frage, die sich angesichts dieser Tatsache stellt, ist, wie man damit umgeht, wie man dem entgegenwirken
kann. Da ein Appell an das Gewissen dieser Menschen meist leider nicht ausreicht, ist an dieser Stelle konkrete
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