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'Sie können aber gut Deutsch'

'Sie können aber gut Deutsch'

Titel: 'Sie können aber gut Deutsch' Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Gorelik
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werden wie wir. Die wollen ja gar nicht den Zustand erreichen, wo man ihnen nicht mehr anmerkt, wer sie einmal waren, wer sie eigentlich sind, weil sie so aussehen, sprechen, denken und handeln wie wir, die wir rechtmäßig hierhergehören. Die
geben sich gar keine Mühe, Marco Müller oder Otto Normalverbraucher zu werden.
    Die integrieren sich nicht.
    Was immer häufiger zu bedeuten hat: Die assimilieren sich nicht. Ich muss bei dem Begriff Assimilation immer an die Juden in den Zwanzigern denken, die so genannten Westjuden, die im Gegensatz zu den Ostjuden standen. Die Ostjuden waren diejenigen, die ihre schwarzen Kaftans an- und ihre langen, grauen Bärte beibehielten, die weiterhin Jiddisch miteinander sprachen, also dieses sonderbare Deutsch, die ständig in ihre Synagogen, ihre »Schuls«, rannten um zu beten, die blieben, was sie in ihren Ostländern auch schon gewesen waren, nur jetzt in einem neuen Land. Das Land hieß Deutschland. Die Westjuden schauten auf die Ostjuden herab, sie schämten sich ihrer, sie distanzierten sich, sie waren bedacht und stolz darauf, assimiliert zu sein. Sich assimiliert zu haben, also als eine einseitige, komplett vollzogene Handlung, sich entschieden in eine bestimmte Richtung bewegt zu haben, die des Deutschen. Assimilation war damals, man wusste ja nicht, was auf einen zukommen würde, ein Begriff ohne jeden Beigeschmack, Assimilation trug das Versprechen eines besseren Lebens in sich, die Hoffnung, ein höher angesehener, ein besserer Mensch werden zu können, nämlich ein Deutscher. Schließlich wurden sie alle ermordet, die Ostjuden in den schwarzen Kaftans und die assimilierten Juden, die stark darauf bedacht gewesen waren, ihre Herkunft, ihre Religion abzulegen, bewusst nach nicht-jüdischen Ehepartnern und damit richtig deutschen Familien gesucht haben, genauso. Am Ende waren sie Juden und fast alle tot.
    Aber was hat diese Geschichte mit heute zu tun?
    Zugegebenermaßen nichts. Es ist die Assoziation, die in meinem Kopf auftaucht, uneingeladenerweise, wenn ich den
Begriff »Assimilation« höre. Und den höre ich immer häufiger, weshalb sich zu der historischen Assoziation neue, aktuelle hinzugesellen, zum Beispiel diese: »Es gibt keine Integration ohne Assimilation.« Der Satz stammt von Thilo Sarrazin. Ein Satz, öffentlich ausgesprochen, was heißt das schon. So viele Menschen, so viele Sätze jeden Tag. Aber manche Sätze bleiben hängen, werden zu einer Haltung nicht nur des einen, sondern vieler, werden vielleicht sogar zu einer Stimmung im Land.
    Eine große deutsche Boulevardzeitung hatte vor, zum 50-jährigen Bestehen des Gastarbeiter-Vertrags 50 Porträts von 50 Gastarbeitern zu drucken, die als Beispiele für eine gelungene Integration gelten. Jemand in der Redaktion hatte »Lasst uns mal die Sache mit der Integration von der positiven Seite angehen, lasst uns mal zeigen, wie gut es läuft« oder etwas Ähnliches gesagt, der Vorschlag wurde abgesegnet, die Serie geplant. Man suchte 50 Integrationsbeispiele unter den nach Deutschland gekommenen Gastarbeitern, so hieß es, es stimmte aber nicht. Man suchte 50 Assimilationsbeispiele, 50 Menschen, die in einem Kurzinterview erzählen würden, wie deutsch sie sich fühlen, dass ihnen ihr so genannter Migrationshintergrund nichts bedeutet, dass Schweinsbraten besser schmeckt als Döner, dass Mohammed kein Prophet sein kann, weil Jesus doch schon einer war. Da dachte ich an den Satz: »Es gibt keine Integration ohne Assimilation.« Ich dachte außerdem, dass Integration vielleicht seit einiger Zeit zu einem Synonym für Assimilation verkommen ist, dann dachte ich wieder an die Ost- und Westjuden, vielleicht hatte ich im Studium zu viel über sie gelernt, und dann ging ich einkaufen und besorgte alle Zutaten für den russischen Kartoffelsalat.
    Es ist ein Kreislauf, dem wir scheinbar nicht entkommen können. Integration, Assimilation, damit einhergehende Forderungen;
sie gehen von der Annahme aus, dass es ein richtiges Leben gibt, dem man beitreten kann, und eines, das falsche, das man dafür ablegen muss. Das richtige und das falsche Leben gibt es aber nicht, gab es wahrscheinlich noch nie, erst recht nicht in unserer globalisierten Welt, in der sich Identitäten und Lebensläufe über Landesgrenzen hinweg bewegen und verändern, teils sogar nur virtuell, in der alles ineinander fließt, in der ein Mensch vielleicht mit seinem Chatpartner und Facebook-Freund in Indien mehr gemeinsam hat als mit seinem Nachbarn

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