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"Sie koennen aber gut Deutsch!"

"Sie koennen aber gut Deutsch!"

Titel: "Sie koennen aber gut Deutsch!" Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Gorelik
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Ausländer zu vermeiden versuchte. »Ich finde diesen Migrationshintergrund schrecklich!«, fügte sie hinzu, womit sie nicht die Tatsache an sich meinte, sondern den Begriff, der sie umschrieb. Sie sprach mir aus dem Herzen.
    Sie war eine von denen, die sich auskennt, weil sie mittendrin lebt, mittendrin arbeitet, mittendrin ihren Alltag verbringt. Sich mit Jugendlichen mit Migrationshintergrund befasst, selbst türkischstämmig ist – und schon wieder habe ich zwei dieser Begrifflichkeiten verwendet, scheinbar unreflektiert. Zu Letzterem sagte sie: »Wenn man türkischstämmig sagt und damit auch Kurden meint, sind die Kurden beleidigt. Wie aber sagt man dann?«

    Â»Such was Neues!«, sagte sie, sie war die Erste, die mich darum bat, aber nicht die Letzte.
    Ja, wie sagt man dann? Lange Zeit hatte man von Ausländern gesprochen, und in diesem Zusammenhang immer häufiger auch von Ausländerhass, Ausländerproblemen, Ausländerfeindlichkeit. Damit hatte der Begriff einen bitteren Beigeschmack bekommen, vielleicht weil keinem der angehängten Begriffe (Hass, Probleme, Feindlichkeit) positive Assoziationen folgten, vielleicht weil der Begriff zunehmend von der rechten politischen Ecke vereinnahmt wurde, vielleicht, weil man über dieses Thema niemals in einem unproblematischen, wertfreien Zusammenhang sprach. Man versuchte also, dem Beigeschmack zu entkommen, indem man dem Ausländer ein freundliches »Mitbürger« hinten anhängte, so dass aus Ausländern ausländische Mitbürger wurden. Die Menschen blieben dieselben, aber wer möchte schon gerne ein Mitbürger sein? Der so ein bisschen mit von der Partie ist, vielleicht, vielleicht auch nicht. Ein Mitbürger ist irgendwie ein Auch-Bürger, aber weshalb denn Auch?
    Man probierte es mit typisch deutschen Wortkonstruktionen wie »Menschen nichtdeutscher Herkunftssprache«, »Personen ausländischer Herkunft« oder »Angehörigen einer in Deutschland ansässigen ethnischen Minderheit«. Die Länge der Wortkonstruktionen spiegelt das prekäre Verhältnis zu der Sachlage wider, die diese sprachlich zu fassen versuchten. Dann kam Migrant. Migrant sollte wertneutral klingen und keinerlei Assoziationen nach sich ziehen, nur Realitäten beschreiben, die keiner verleugnen will und darf. Migrant heißt ins Deutsche übersetzt so viel wie »Herumwanderer«, und angeblich bin ich ein solcher Migrant, eine Migrantin, um genau zu sein. Aber wandere ich herum? Oder wird mir nicht vielmehr unterstellt, herumzuwandern? Schließt dieser Begriff
nicht schon von vorneherein aus, dass ich auch bleiben könnte, bleiben möchte, angekommen bin? Ich bin gewandert, das stimmt. Ich bin nach Deutschland ausgewandert, um hierzubleiben. Jetzt wandere ich nicht mehr herum, ich finde es hier schön. Nicht alles, aber genug. (Und gerade diese Feststellung zeigt aus meiner Sicht, dass ich hier zuhause bin, dass Deutschland und ich eine gute Beziehung haben, eine Beziehung wie eine lange, gute Ehe: Man findet nicht alles am anderen gut, aber ziemlich viel, und immer genug, um die Beziehung fortzuführen.) Ich lebe in München und tue dies gerne. Ich kenne zig Menschen, die jedes Jahr umziehen, weil es in Frankfurt die besseren Jobs gibt, weil Berlin noch cooler ist als Hamburg, weil der neue Freund in Köln lebt. Sind das nicht Herumwanderer, Migranten? Ich hingegen bin spießig und bleibe, wo ich bin.
    Ein wenig später sprach man von Menschen mit Migrationshintergrund, um einen Namen für Menschen wie mich zu haben. Man gestand den Ausländern also mittlerweile zu, auch – oder in erster Linie – Mensch zu sein. Ein echter Fortschritt. Das befanden dann auch Wissenschaftler, Politiker, Öffentlichkeitsmacher für politisch korrekt, und der Begriff blieb, bis er wie eine ansteckende Krankheit um sich griff, sich verbreitete wie ein Virus. Jedermann erleichtert, sich endlich unproblematisch zu dieser problematischen Masse von Menschen äußern zu können, nicht für eine Sekunde in Erwägung ziehend, dass diese Menschen, für die man einen so schönen politisch korrekten Namen gefunden hatte, so heterogen sind, wie Gruppen es nur sein können. Aus verschiedenen Ländern, verschiedenen Kulturkreisen stammend, unterschiedliche Geschichten und Vergangenheiten mitbringend, unterschiedliche Wert- und Lebensvorstellungen, unterschiedliche Religionen

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