"Sie koennen aber gut Deutsch!"
und Bräuche, Sprachen erst recht, und der einzige gemeinsame
Nenner: ach ja, der Migrationshintergrund! Der übrigens nichts weiter bedeutet, als dass all diese Menschen eine Migration hinter sich haben und nun in Deutschland leben, aber bis auf die Tatsache, dass sie sich manchmal â und viele gar nicht â in der Ausländerbehörde (die übrigens nach wie vor so heiÃt) treffen, im Alltag nichts miteinander zu tun haben.
Seit dem Mikrozensus 2005 erhebt das Statistische Bundesamt auch die Zahl der Menschen mit Migrationshintergrund und teilt seine Statistiken nebst in Männer und Frauen, Alte und Neue Bundesländer und ähnliche Kategorien in ein »mit« und ein »ohne« ein. Als Personen mit Migrationshintergrund definiert werden dabei »alle nach 1949 auf das heutige Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Zugewanderten, sowie alle in Deutschland geborenen Ausländer und alle in Deutschland als Deutsche Geborenen mit zumindest einem nach 1949 zugewanderten oder als Ausländer in Deutschland geborenen Elternteil«. Was bedeutet, dass es für diese Bezeichnung gar nicht notwendig ist, tatsächlich einen Migrationshintergrund zu haben, im Sinne von selbst herumgewandert zu sein. Es reicht, wenn die Vorfahren diese Aufgabe übernommen haben, auch: diese Erfahrung gemacht haben. Eine schöne Botschaft, die da mit diesem politisch korrekten Begriff versendet wird: Du bist hier geboren, du kennst â abgesehen von Urlaubserfahrungen â kein anderes Land, aber einer von uns bist du dennoch nicht. Nee, du hast da was. Was in deiner Biographie oder vielmehr der deiner Eltern. Einen Migrationshintergrund. Oder fällt jemandem spontan ein Satz ein, in dem Migrationshintergrund wie etwas Wünschenswertes, etwas Beneidenswertes klingt? Der Begriff ist so politisch korrekt, dass in ihm meist eine Gönnerhaftigkeit mitschwingt. Mensch, bin ich nicht wunderbar politisch korrekt, dass ich mir so einen schönen Namen für dich ausgedacht habe?
Vielen herzlichen Dank!
Wie sieht er aus, so ein Migrationshintergrund? Assoziationen sind eine sonderbare, aus psychoanalytischer Sicht höchst spannende Angelegenheit, als Autorin denke ich viel darüber nach. Einmal sagte jemand mit (einem türkischen) Migrationshintergrund zu mir: »Bei Multikulti denke ich immer an Multivitaminsaft.« Ich war mir noch nicht sicher, ob ein tieferer Sinn hinter diesem Satz steckte, bevor mir eine andere Assoziation in den Sinn kam: »Ich hasse Multivitaminsaft.« Bei Migrationshintergrund denke ich jedenfalls als Erstes an etwas, das hinter mir ist, also einen Hintergrund bildet. Und da ich ja aus der ehemaligen Sowjetunion stamme, stelle ich mir den eigenen immer als eine sowjetische Flagge vor. Rot, groÃ, im Wind wehend, darauf Hammer und Sichel in einem golden schimmernden Gelb. Stelle ich mir diese Fahne als meinen Hintergrund vor, überkommt mich plötzlich das Bedürfnis, mich aufzurichten, meinen Rücken durchzudrücken und die sowjetische Hymne anzustimmen: »СоÑз неÑÑÑимÑй ÑеÑпÑблик ÑвободнÑÑ
cплоÑила навеки ÐÐµÐ»Ð¸ÐºÐ°Ñ Ð ÑÑÑ â¦Â« (»die unzerbrechliche Union der freien Republiken vereinigte für die Ewigkeit die groÃe Rusâ«). So, als wäre ich wieder dabei, in der sowjetischen Grundschule mit vor Stolz geschwellter Brust als Oktjabrjönok, der Vorstufe zum Pionier, vereidigt zu werden. Aber ist tatsächlich diese Fahne gemeint, wenn von meinem Migrationshintergrund die Rede ist? Und soll das etwa derselbe Hintergrund sein wie der, den ein 63-jähriger Flüchtling aus Somalia mitgebracht hat? Und wie sieht der eines Jungen aus, dessen GroÃeltern in den sechziger Jahren aus Italien zum Arbeiten nach Deutschland gekommen sind, der kein Wort Italienisch spricht, sondern eher Berlinerisch als Hochdeutsch?
Unsere Hintergründe sind Collagen, die aus Fetzen unseres
Lebens, Schnappschüssen, Geräuschen, Erinnerungen, Songtexten, Bildern bestehen. Sie sind bunt und unterschiedlich und oft nur für uns selbst zu verstehen. Es gibt nicht einen Migrationshintergrund, nicht eine Collage, die auf mehrere Menschen zutreffen würden, selbst wenn diese aus demselben Land ausgewandert sind. Wie aber soll er aussehen, unser, dieser angeblich
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