"Sie koennen aber gut Deutsch!"
kaschieren kann, wer ich eigentlich bin. Das ist ein Wunsch, auf den ich nicht stolz bin, den ich aber immer wieder verspüre, wenn ich meine, von Menschen, die mich nicht kennen, als Ausländerin abgestempelt zu werden. Oder warum lasse ich Die Zeit auf dem Tischchen im Zug
liegen, wenn ich ein russisches Buch zum Lesen hervorhole? Warum habe ich Angst, dass mein Sitznachbar, mit dem ich kein Wort geredet habe und nie ein Wort reden werde, vielleicht auÃer »Darf ich mal vorbei?«, denken könnte: Oh, komische Buchstaben, was für eine Ausländerin sitzt denn da neben mir? Mag sein, dass das alles nur in meinem Kopf stattfindet, der Sitznachbar mich noch nicht einmal wahrgenommen hat, aber was da in meinem Kopf stattfindet, kommt nicht von ungefähr, sondern vom Nachgeschmack. Der Nachgeschmack bleibt noch länger wohl bei meinen Eltern, nicht nur bei ihnen, sondern bei Tausenden jener, die sich nach ihrer Einwanderung in dieses Land â nach den ihnen eigenen Möglichkeiten â so viel Mühe gegeben haben, das neue Zuhause, die Bräuche zu begreifen, die Sprache zu lernen. So gut es ihnen eben gelang. Der Nachgeschmack bleibt, und mein Vater, der sehr gerne essen geht, tut es manchmal nicht, um nicht auf Deutsch bestellen zu müssen, und meine Mutter ruft mich regelmäÃig an, um mich nach der Aussprache bestimmter Worte zu fragen, die zu benutzen sie gedenkt: »Ich will ein Fondue-Gerät verschenken. Wie spricht man Fondue genau aus?«, und dann übe ich am Telefon mit ihr, ehe sie losgeht und dann doch undeutlich oder eben einfach mit Akzent spricht, und der Ton, in dem die Verkäuferin dann antwortet: »Ich habe Sie nicht verstanden. Was wollen Sie?«, hat nichts mehr mit ihrem anfänglichen, automatisierten und wahrscheinlich deshalb extrafreundlichen »Was kann ich für Sie tun?« zu tun, weil die Herablassung nicht zu überhören ist und wieder einen Nachgeschmack hinterlässt. Und der Nachgeschmack mehrt sich, bis man einmal ausspucken möchte oder den Mund spülen, weil es zu unangenehm wird.
Wenn man nicht perfekt oder schlecht oder schlechter als jemand anders oder mit Akzent Deutsch spricht, ist man dann
ein schlechterer Mensch? Ein Mensch zweiter Klasse? Manchmal fühlt es sich so an.
Ich habe eine Weile in Jerusalem gelebt, und als ich dort ankam, reichte mein Hebräisch gerade einmal, um Falafel zu bestellen und mit Taxifahrern über den Fahrpreis zu verhandeln. Später begann ich einen Sprachkurs, den ich nicht beendete, ich schnappte wichtige Wortfetzen bei meinen Mitbewohnern auf, ich redete auf die Taxifahrer ein, ich versuchte, die Boulevardzeitung zu lesen, und übte meine Pantomimefähigkeiten, wenn mir Begriffe fehlten. (Ich sprach und verstand definitiv um einiges schlechter Hebräisch als meine Eltern Deutsch.) Und permanent wurde ich für meine Sprachkenntnisse gelobt. In diesem Lob steckte keine Ãberraschung darüber, keine Herablassung, die Israelis stellten es vielmehr fest. Wie gut ich mich ausdrücken würde, wie schnell ich die Sprache gelernt hätte (gelernt, als abgeschlossene Handlung bereits, obwohl ich in jedem meiner Sätze mindestens einen Fehler machte und nur im Präsens sprach, weil mir die anderen Zeitformen fehlten), bewunderten mich die Menschen, denen ich begegnete, weil die Israelis was? verlogener, unehrlicher sind? Wenn jemand in den USA davon spricht, dass jemand Englisch kann, ist damit immer das hochgestochene Englisch eines Professors der englischen Literatur aus Harvard gemeint?
Deutsch können sollen die Zuwanderer, wird immer wieder gefordert, dieser Forderung schlieÃe ich mich an, aber wo beginnt Deutsch können?
Wann haben Sie zuletzt eine Sprache gelernt? Oder konkreter formuliert: Wann haben Sie zuletzt eine Sprache gelernt, während Sie gleichzeitig versuchten, sich in einem Ihnen komplett fremden Land zurechtzufinden, Ihre Familie zu ernähren, Ihren Kindern trotz des permanenten eigenen
Unsicherheitsgefühls Selbstsicherheit und Stabilität zu vermitteln? Wir, all diejenigen, die seit ihrer Schulzeit keine neue Sprache mehr ge-, geschweige denn erlernt haben, vergessen beizeiten, wie schwer das ist. Erst recht, wenn man schon älter ist oder gerade dabei, sich ein komplett neues Leben aufbauen zu müssen. Das Erlernen einer neuen Sprache ist ein immerwährender Prozess, der möglicherweise nie aufhört, selbst für
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