"Sie koennen aber gut Deutsch!"
über mich und andere wie mich ebenfalls nicht machen müssen. Ich wünsche mir und Deutschland, dass es keine Vorzeigeausländer mehr zu brauchen meint.
»Ich spreche Deutsch, aber nicht sehr gut«
Probleme (mit) der deutschen Sprache
Manche Sätze bleiben hängen. Die Sätze selbst, nicht die Erinnerung an den Inhalt, nicht die Bedeutung einzelner Worte für uns und unseren weiteren Lebensverlauf, nicht der Gesprächspartner und die Tonlage, sondern Sätze an sich. Wort für Wort. Es kann einem bei einmaligen Erfahrungen im Leben passieren, wie einem Heiratsantrag â oder bei besonders witzigen Begebenheiten wie dem Ausspruch eines Kindes, das Begriffe verwechselt. Es kann alles sein.
Es kann auch sein: »Ich kann nicht schreiben, ich bin doch nur Ausländerin.«
»Ich kann nicht schreiben, ich bin doch nur Ausländerin.« Ich habe den Satz immer noch in den Ohren. Ein kleines Mädchen von etwa elf Jahren sagte ihn zu mir. Es wäre schön, sie an dieser Stelle beschreiben zu können, wie sie in dem langen, zu dunklen Schulflur stand, zu mir hinaufblickte (obwohl ich ja so groà nicht bin), wie sie dabei schüchtern lächelte oder vielleicht resigniert mit den Schultern zuckte. Die Wahrheit ist, ich kann es nicht. Ich erinnere mich nicht mehr an sie. Ich kann nicht sagen, ob sie blond oder dunkelhaarig war. Ich kann nicht sagen, ob sie wie ein Kind wirkte, gerade noch, oder ob sie schon in der Vorpubertät war, sich vielleicht bereits die Wimpern tuschte. Ich weià auch nicht mehr, wie sie hieÃ. Dafür hallt ihre Stimme immer noch in meinem Kopf wider: »Ich kann nicht schreiben, ich bin doch nur Ausländerin.« Sie spricht fast akzentfrei Deutsch, vielleicht rollt sie das »R« ein bisschen zu sehr, sie könnte als Fränkin durchgehen, nur dass sie in Schwaben lebt. Sie spricht den Satz knochentrocken
dahin, nicht abgeklärt, nicht zynisch, ohne jegliche Ironie. Sie spricht ihn so, wie Kinder vermeintliche Tatsachen von sich geben, die sie für sich nicht in Frage stellen: Das Christkind bringt die Geschenke. Die Zahnfee hat meinen Zahn geholt. Meine Mama ist die beste Mama der Welt. Ich kann nicht schreiben. Ich bin doch nur Ausländerin.
Das Mädchen, das diesen Satz sagte, der bis heute in meinem Kopf herumschwirrt, sprach ihn tatsächlich in der Schule aus. Wir standen dort zusammen, weil sie ihre Bildung in dieser Einrichtung verpasst bekam, die Art von Bildung, die für die deutsche Hauptschule nun einmal vorgesehen ist, und ich eine Ergänzung dieser Bildung war. Ich war zusammen mit anderen Autoren eingeladen worden von einem Verein, der sich der Aufgabe widmete, Migrantenkindern durch kreative Schreibkurse und Begegnungen mit »echten Schriftstellern« die deutsche Sprache näherzubringen. Diese Art von Projekten, Schreib- oder Lese- oder Lese-Schreib-Tage, findet immer wieder, hoffentlich auch zunehmend, statt. Wie sie jeweils heiÃen, ist nicht von Bedeutung, von Bedeutung ist, dass es sie gibt. GroÃe und mittelgroÃe Autoren, »echte Schriftsteller« treffen kleine Autoren, sie erleben und schaffen gemeinsam Literatur, und im besten Falle treten die groÃen Autoren in den kleinen Köpfen etwas los, auf jeden Fall aber lernen alle Beteiligten dazu. Das Mädchen hatte im Vorfeld einen Text geschrieben so wie auch die anderen Schüler, die an dieser Schreib-Lese-Woche teilnahmen. Die meisten Texte, die ich zu lesen bekam, waren Gedichte, vor Bedeutung triefende Gedichte, in denen es meistens um Liebe ging, die einzig wahre, die, der das gebrochene Herz folgte, ICH LIEBE DICH in GroÃbuchstaben kam in jedem dritten solchen Gedicht vor, und DU oder ER wollte meist nicht verstehen oder sehen, was er der jeweiligen Lyrikerin bzw. ihrem erzählerischen Ich antat. In
der zweithäufigsten Kategorie drehte es sich um den Keinerkann-mich-verstehen-wie-ich-wirklich-bin-Topos, einen Topos der Pubertät, der sich lyrisch in Zeilen wie »Und ich bin allein in der schwarzen Masse« äuÃerte. Ich liebte all diese Gedichte, da sie mich an meine eigenen Poesieversuche in diesem Alter erinnerten, an DEN, der mich nicht sah, und an das Gefühl, keiner wisse, wie ich wirklich war. Ich schmunzelte viel, als ich die Texte zur Vorbereitung der Woche las. Bei einem aber schmunzelte ich nicht. Es war der Text dieses Mädchens, mit dem ich später im Schulflur sprach, eine karierte
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