"Sie koennen aber gut Deutsch!"
Deutschland kamen, lebten nicht in Deutschland, sie lebten in einer Art Niemandsland. Es war ein Land, in dem man arbeitete und schlief, für mehr hatte man nicht die Kraft. Es war ein Land, in dem man keine Fragen stellte, nicht sich selbst und nicht den anderen, schon gar nicht die Frage, ob und wann es sinnvoll wäre, die deutsche Sprache zu erlernen, die Sprache des Landes, in dem sich dieses Niemandsland irgendwie befand. Und hätten sie gefragt, dann wäre die Antwort ein eindeutiges Nein gewesen, wozu denn auch, sie waren zum Arbeiten eingeladen worden, wie der ihnen verliehene Name schon sagte, nicht um die Sprache zu lernen. Weshalb in den Schulen bis in die siebziger Jahre so genannter muttersprachlicher Ergänzungsunterricht für die Kinder der Gastarbeiter angeboten wurde, damit diese in der Heimat keine Schwierigkeiten hätten, wenn ihre Eltern wieder zurückkehren würden dahin, woher sie gekommen waren, dahin, wohin sie gehörten. Sprachkursangebote
gab es keine, wozu denn auch? Arbeiten, Geld verdienen, zurückgehen, ein Abkommen, von dem beide Seiten profitieren. Das Sprachenlernen hat keiner verlangt.
Und als dann nicht alle zurückgingen, und in den Siebzigern wiederum Forderungen lauter wurden, wer hier lebe, müsse auch die hiesige Sprache beherrschen? Nun, zu diesem Zeitpunkt hatten sich auch die Gastarbeiter hier â auf ihre Weise â eingelebt, sich das an Sprache angeeignet, was sie brauchten, um sich in ihrem Alltag zurechtzufinden, aber auch eine Art eigene Infrastruktur aufgebaut, innerhalb derer sie sich frei in ihrer Muttersprache bewegen konnten. Meist hatte man im Freundeskreis jemanden gefunden, der bei wichtigen Terminen übersetzen half, man brachte einander Deutsch bei, jeder steuerte die Brocken bei, die er sprach, man gab auch die Fehler einander weiter, bis eine Sprache entstand, mit der man sich zurechtfand, sich in seiner inzwischen nun neuen Heimat einigermaÃen wohl fühlte. Und sich daran gewöhnte, sowohl an die Sprache als auch an das neue Zuhause. Eine griechische Freundin, die Tochter einer Gastarbeiterin, erzählte mir, dass in den griechischen Kreisen, in denen sie verkehrte, die so genannte Invalidenkarte, eine Fahrkarte für Menschen mit einer Behinderung, »Vanillekarte« hieÃ. So hatte es einer gehört und verstanden, so hatten es andere aufgegriffen und weitergegeben. Es bedeutete nicht, dass man nicht wusste, was die Invalidenkarte war oder wie man sie beantragte. Sie hieà nur anders, Vanillekarte eben. Wer zwei Jobs hatte, hatte wiederum »eine Extra«, »ich gehe zur Extra« konnte man dann stolz oder müde verkünden, man kam zurecht.
Als Gerasimos nach Deutschland kam, war er zu jung, um sich Gedanken zu machen. Er wollte weg, weg von der griechischen Militärdiktatur, weg von dem eintönigen Leben, das er auf dem Schiff führte, auf dem er arbeitete. Er war 23 Jahre
jung, und als zwei Freunde vorschlugen, zum Arbeiten nach Deutschland zu gehen, weil mit Deutschland ein Anwerbeabkommen existierte, da sagte er Ja und landete hier. Heute sagt Gerasimos über diese Zeit: »Schwierige Zeiten. Sprache nicht gekannt.« So spricht er, abgehackt, nicht immer verständlich, häufig fällt ihm eine Vokabel nicht ein, dann wiederholt er einfach die Zusammenfassung: »Schwierige Zeiten.« Schwierige Zeiten waren das, weil Deutschland nicht nur und wahrscheinlich gar nicht eine Abenteuerreise war, sondern harte Arbeit. Drei-Schichten-Dienst bei Siemens, jeden Tag, im Akkord. Wenn er nicht arbeitete, schlief er. Wenn sie nicht arbeiteten, schliefen sie. Sie, die Gastarbeiter, die wir, wie der Name schon sagt, als Gast einluden, hier zu arbeiten, nicht, um Deutsch zu lernen. Aber wer erinnert sich heute noch daran?
Gerasimos jedenfalls arbeitete im Akkord, drei Schichten, und zwischen den Schichten schlief er, und als er nicht mehr konnte, suchte er sich eine Arbeit in München bei BMW, weil er gehört hatte, dass es dort einfacher sein würde, war es aber nicht. Oder in Gerasimosâ Sprache formuliert: »Wenn du arbeiten musst, ist das Leben so. Schwierige Zeiten.« In den Fabriken verständigte man sich irgendwie, wie, kann er auch nicht erklären, »aber keine Probleme gehabt«. Meist habe es in jeder nationalen Gruppe jemanden gegeben, der gedolmetscht habe, einen Türken, einen Griechen, einen Italiener mit brauchbaren Deutschkenntnissen, notfalls
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