"Sie koennen aber gut Deutsch!"
»eigentlich« häufiger auftaucht, als mir recht ist
Lange bevor ich Deutsch konnte, hatte ich Schwäbisch gelernt. Ich war überzeugt davon, dass Weckle Weckle heiÃen, Fleischküchle Fleischküchle und Kehrwoche ein feststehender bundesdeutscher Begriff ist, der zu Deutschlands â in meinen Augen oft sonderbaren â Ritualen ebenso dazugehört wie Tatort -Schauen am Sonntagabend. Ich lernte nicht nur Schwäbisch, ich lernte Schwäbischland kennen. Ich war zudem ein Besserwisserkind und dabei, mich in diesem Land â das ich mit der schwäbischen Kleinstadt, in der meine Familie zufällig gelandet war, gerne verwechselte â zurechtzufinden und zu behaupten. Und gleichzeitig so zu tun, als wüsste ich bereits Bescheid. Ãber Deutschland an sich. Also erklärte ich meinen Eltern, während ich ihnen Teile der Tagesschau ins Russische übersetzte â Kinder lernen Sprachen schneller als Erwachsene â, welche Wörter die Tagesschau -Sprecher meiner Meinung nach falsch aussprachen. »Das hätte«, fügte ich zum Beispiel unnötigerweise hinzu, während ich etwas zum Doppelbesteuerungsabkommen zwischen Deutschland und Bolivien übersetzte, »âºdie häân bâschlossaâ¹ statt âºes wurde beschlossenâ¹ heiÃen müssen.« Fragten meine Eltern nach, was ein Doppelbesteuerungsabkommen sei, belehrte ich sie, den politischen Inhalt mit meinen elf Jahren und dem Problem im Kopf, morgen möglicherweise eine zu russische Jacke in die Schule anziehen zu müssen, nicht nur nicht verstehend, sondern auch nicht besonders spannend findend: »Das weià doch jeder, lernt doch Deutsch! Das lässt sich auf Russisch nicht erklären!«
Wir, meine GroÃmutter, meine Eltern und ich saÃen zu
viert in unserem Asylantenwohnheimzimmer vor dem Sperrmüll-Fernseher gedrängt auf braunen Stahlhochbetten. Das Asylantenwohnheim, ebenfalls braune Holzbaracken hinter Stacheldraht, ein Zuhause, für das ich mich bis auf die Knochen schämte.
Später lernte ich, dass Weckle auch Schrippen heiÃen können, oder schlimmer noch Semmeln, und kriegte mich vor Lachen nicht mehr ein. Noch später fuhr ich nach Hamburg, wo Backsteinbauten statt Fachwerkhäusle standen, die Menschen sich mit »Moin« begrüÃten und auf mein »Grüà Gott« mit einem »Mache ich, wenn ich ihn sehe« reagierten, und fühlte mich, als sei ich im Ausland gelandet, unsicher und fremd. So lernte ich Deutschland nach und nach kennen, das mit meinem neuen schwäbischen Zuhause häufig erstaunlich wenig gemein hatte.
Zu einer Zeit, als ich Deutschland bereits zu kennen meinte, mein Russisch längst schlechter war als mein Hochdeutsch und ich den schwäbischen Dialekt bereits bewusst abzulegen begann, um weltkundiger zu wirken â ich wollte immerhin Journalistin werden â, nahm mich mein damaliger Freund und späterer Ehemann in seine Heimat mit, an die schleswig-holsteinische Ostseeküste. Als wir ankamen â ich war sehr aufgeregt, zum ersten Mal sollte ich das deutsche Meer sehen, das früher mein russisches Meer gewesen war, die Ostsee â, trafen wir einen Nachbarn der Familie. Mein zukünftiger Mann sprach plattdeutsch angehauchtes Norddeutsch mit ihm, machte ein wenig Small Talk, ja, wir sind für ein paar Tage da, lange Anfahrt, kalter Seewind. Ich stand beeindruckt daneben und dachte mir: Ich wusste gar nicht, dass er so gut Niederländisch spricht. Ich verstand kein Wort. Es war Winter und kalt. Und später in jenem Winter fuhren wir zusammen Langlaufski â Langlauf, weil man im Norden
Deutschlands eher selten Ski fährt, wo denn auch?, und mein Freund es nie gelernt hatte â und übernachteten in einer kleinen, netten Pension irgendwo im südlichen Schwarzwald. Die Pension wurde von einer kleinen, dicklichen Frau geführt, die mich an die GroÃmutter aus Rotkäppchen erinnerte und wahnsinnig besorgt war, ob wir auch genug zu essen bekämen. Mehrmals wollte sie bei der Anreise wissen, welchen Aufschnitt und Käse wir zum Frühstück bevorzugten. Am ersten Tag in dieser Pension ging mein zukünftiger Ehemann erst einmal alleine zum Frühstücken hinunter, während ich noch duschte. Kaum zehn Minuten später, ich war noch dabei, mich fertig zu machen, kam er wieder ins Zimmer gestürmt und verlangte: »Du
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