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Sie kommen!: Ein Blog vom Ende der Welt (German Edition)

Sie kommen!: Ein Blog vom Ende der Welt (German Edition)

Titel: Sie kommen!: Ein Blog vom Ende der Welt (German Edition)
Autoren: Madeleine Roux
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anders, es ist schlimmer, so viel schlimmer als die anderen Dinger, die laufenden untoten Dinger. Man kann fühlen, wie er hier in der Falle saß, den stummen Schrei, den weit geöffneten Mund, der um sein Leben bettelt.
    »Wir müssen ihn hier rausschaffen«, sagt Ted. Ich stimme zu, und meine Achtung vor Ted wächst wieder mal ein bisschen, als wir vorsichtig die Leiche anheben, ich an den Füßen, er an den Schultern. Wir sind nicht sicher, wo wir den Toten hinbringen sollen. Schließlich setzen wir ihn am anderen Ende des Flurs ab, in einer stille Ecke neben der Tür eines Abstellraums. Er liegt schwer in unseren Armen, auch ohne sein Blut, und ich kann den Blick nicht von dem lösen, was aussieht wie ein rohes, rotes Band, das um seinen Hals genäht wurde. Nachdem wir ihn in die Ecke gelegt haben, gehen wir zurück in die Wohnung und finden ein sauberes Laken im Wäscheschrank des Mannes. Eines der wenigen Dinge, die nicht mitgenommen wurden. Wir breiten es über ihn und betrachten das weiße Gewebe, das seinen Körper bedeckt, ihn verschleiert wie einen Märtyrer, der seinen Frieden gefunden hat.
    Ich denke über die roten Flecken auf dem Teppich des ersten Apartments nach und frage mich, wo die Leichen sind.
    Es gibt nichts zu sagen, also gehen wir leise zur letzten Tür. Da sie abgeschlossen ist, haue ich mit der Axt auf den Knauf. Durch die leicht geöffneten Fenster im Wohnzimmer weht eine rauschende Brise herein. Auch hier ist es frostig, und ich bin wieder dankbar dafür, denn ich stoße auf eine weitere Leiche, eine alte, gebrechliche Frau mit Händen, bedeckt von Altersflecken, die Haut so alt, dass sie wie Pergament über den Knochen spannt. Die Greisin sieht glücklich aus, wie sie mit einem blassen Lächeln auf ihrer vollgestopften Couch sitzt. Ich frage mich, ob sie eine Herzattacke hatte, ob sie den Aufruhr draußen gesehen hat, zurück auf ihre Couch gestolpert und einfach gestorben ist. Sie lässt sich leichter tragen, ist aber so zerbrechlich und dürr, dass ich Angst habe, wir zerdrücken sie zu Staub. Wir legen sie neben den Mann und bedecken auch sie.
    Phil bezieht Stellung vor der Tür, seinen Baseballschläger und den glänzenden Golfschläger im Anschlag.
    Als wir zurück in ihre Wohnung gehen, finden wir alles, wo es sein soll. Das Porzellan, das Silber, die Töpfe und Pfannen und Handtücher und Bettzeug. Alles wirkt sehr sauber, aber mit einem leichten Geruch nach Staub, als ob die Besitztümer sehr alt sind und aus einer anderen Zeit stammen. Ich nehme ein Stück Abopost vom Flurtisch, Ms Jane Weathers. Dann gehe ich in ihre hellgrün gestrichene Küche. Dort stehen ein paar Pflanzen auf dem Fensterbrett, allerdings schon verwelkt und eingeschrumpelt.
    Als ich die Küchenschränke unter der Spüle öffne, muss ich an mich halten, um nicht loszulachen. Ich versuche auch, nicht zu kichern, ehrlich, aber das ist einfach zu viel. Das Apartment ist ein Referenzmodell für Notstandssurvival. Die arme Ms Weathers muss eindeutig ein Produkt der »duck and cover«-Atombunkerpropaganda gewesen sein. Es ist unübersehbar. Ted entdeckt zwei Generatoren in ihrem Garderobenschrank und ein antiquiertes tragbares Kurz- und Mittelwellenradio mit Nummern auf den Knöpfen, die wahrscheinlich noch aus dem Weltraum lesbar sind. In den Küchenschränken finde ich genau jene Sorte Konserven, die normalerweise in den hintersten Winkeln einer Speisekammer schmachtet – grüne Bohnen, weiße Bohnen, Pfirsiche, Instant-Kartoffelbrei.
    »Sieht so aus, als würde unser Lebensstandard jetzt auf das Niveau ›Das kluge Eichhörnchen sorgt vor‹ steigen«, sage ich und halte eine Dose Zuckermais in die Höhe, damit Phil sie sehen kann. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich zum letzten Mal solche Sachen gegessen habe, aber alles klingt besser als Käsechips.
    Die Wohnung ist perfekt: sauber, weiträumig und gut bestückt. Ich weiß nicht, ob wir hier alle reinpassen und ob wir das überhaupt versuchen sollten. Es gibt ja noch die anderen Apartments, nur dass mir die Blutflecken auf dem Teppich nicht aus dem Kopf gehen. Dabei wäre eines von ihnen wohl die vernünftigste Wahl, denn es hat die praktische Feuertreppe. Wir könnten einen Teppich über die Flecken legen, wir könnten etwas …
    »Sie kommen!«
    Phil schreit und prügelt im Türrahmen auf die heranschlurfenden Kreaturen ein, die versuchen hereinzukommen. Ich sehe einen vergammelten Arm und drei Finger, die nach ihm greifen, und ereiche gerade rechtzeitig
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