Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sie kommen!: Ein Blog vom Ende der Welt (German Edition)

Sie kommen!: Ein Blog vom Ende der Welt (German Edition)

Titel: Sie kommen!: Ein Blog vom Ende der Welt (German Edition)
Autoren: Madeleine Roux
Vom Netzwerk:
Feuertreppe steht weit offen. Kein gutes Zeichen. Wer immer hier drin gewohnt hat, muss versucht haben zu fliehen. Und warum sollte er das tun, wenn er sicher und gesund in seinem Apartment untergebracht war?
    Als Phil und Ted oben bei mir sind, spähe ich durch das Fenster. Ich schaue in eine fremde Küche. Sie ist total durchwühlt. Die Schubladen und Schränke stehen offen oder liegen auf dem Linoleum. Silber und Geschirrfragmente sind über den Boden und die Arbeitsflächen verstreut, auch die Kühlschranktür steht offen. Ich sehe keine direkte Gefahr, also steige ich ein und mache Platz für Ted und Phil. Sie quetschen sich durch die schmale Öffnung, seufzen und ächzen, als sie sich durch das Fenster hineinzwängen.
    Das Innere ist erfüllt von dieser Art schauriger Stille, die einen an Geister denken lässt. Hier kann nichts Gutes passiert sein. Es gab hier keine Freude und kein Gelächter, nicht, als das Gefühl des nahen Todes hereinkroch und alles andere überlagerte. Nicht mal der helle, fröhlich gelbe Anstrich kann die Angst in Schach halten. Ich checke die Regale, nur um sicherzugehen, aber da ist nichts, nicht mal ein Krümel. Jemand war schon da und hat das Apartment vollständig ausgeräumt. Es gibt keine Nahrung, nichts von essbarer Art, und der Kühlschrank stinkt nach Schimmel und vergammelter Milch. Ich schließe ihn und gehe weiter in einen schmalen, winzigen Flur. Die gerahmten Fotografien hängen schief, sind aber noch intakt. Ich versuche, nicht auf die gestellten Familienbilder zu schauen, das hoffnungsvolle Lächeln und die kunterbunten Pullis.
    »Scheiße«, höre ich Ted murmeln. Ich denke dasselbe. Wenn man in ständiger Angst lebt, schärft das die Instinkte, und man fühlt, wenn etwas im Argen liegt. Dieses Gefühl ereilt mich, als ich durch das Wohnzimmer über die verdächtigen roten Flecken auf dem elfenbeinfarbenen Plüschteppich gehe. Und es kommt wieder, nachdem wir die Wohnung Raum für Raum durchquert und niemanden gefunden haben, nur Chaos, nichts als Chaos, herausgerissene Schubladen über herausgerissene Schubladen. Ein Telefonhörer hängt herunter und gibt kein Freizeichen von sich.
    Wir verlassen die Wohnung und gehen raus ins Treppenhaus. Dort treffen wir ein paar unserer untoten Freunde, und Ted und ich können mit den Schlägern üben. Ich habe mich nie besonders für Golf interessiert, aber ich könnte mich bestimmt dafür erwärmen. Der Driver ist leicht, aber tückisch. Er entfernt ein beachtliches Stück aus dem Gesicht des ersten Stöhners. Ich ziehe die Axt vor, sie ist verlässlicher, tödlicher, aber der Driver lässt sich leichter, weit weniger ermüdend schwingen. Es ist am leichtesten, sie über das Treppengeländer auf die darunterliegenden Stufen zu prügeln, also machen wir es so und lauschen dem befriedigenden Knirschen ihrer weichen Körper, die im Erdgeschoss aufschlagen.
    Das Treppenhaus ist dunkel, die Wände in Rosarot mit Blumenborte tapeziert. Es stehen noch mehr Türen offen, und mir jagt ein Schauer das Rückgrat hoch. Ich will da nicht hineingehen, aber ich weiß, wir sollten es tun. Die ersten beiden Wohnungen sind fast genauso wie das andere Apartment – durchwühlt, kalt, leer und erfüllt vom durchdringenden Dunst gequälter Seelen. Nun bleiben noch zwei Apartments übrig, und nur eins davon hat eine dicht verschlossene Tür. Wir gehen zuerst in die offene Wohnung.
    Ich danke Gott für die Kälte.
    Da ist er, ein Mann in mittlerem Alter, wahrscheinlich kaum älter als fünfunddreißig. Er sitzt in einem Schaukelstuhl, merkwürdig in der Mitte des Wohnzimmers platziert, ziemlich weit ab vom Sofa, vom Fernseher, von der Großvateruhr. Die Rückseite des Stuhls ist rot, was sie nicht sein sollte. Sein Kopf ist zurückgeworfen, seine sehr dunklen Locken fallen über die Lehne. Ich gehe näher heran. Phil und Ted sind an der Tür stehen geblieben, und ich kann Phil im Flur würgen hören. Der Hals des Mannes klafft auf, aber nicht von Bissen der Untoten, sondern vom sauberen, scharfen Schnitt eines Messers.
    »Nein, das ist nicht richtig«, sage ich kopfschüttelnd. Seine Augen sind geöffnet, starren milchig weiß, wo sie blau sein sollten. Der Raum ist so kalt, dass die Verwesung noch nicht eingesetzt hat. Alle paar Sekunden kommt mir der gleiche Gedanke: Selbst wenn wir diesen Ort gründlich reinigen, selbst wenn es hier sicher ist, wie sollten wir hier leben können?
    Dann renne ich in den Flur und kotze auf die Treppe. Ich kann nicht
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher