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Sie kommen!: Ein Blog vom Ende der Welt (German Edition)

Sie kommen!: Ein Blog vom Ende der Welt (German Edition)

Titel: Sie kommen!: Ein Blog vom Ende der Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeleine Roux
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überhört es Phil. Er muss nicht über den Kuchen und die Gefühle sprechen. Wir können alle spüren, wie dankbar er ist, wenn wir nur das breite, benebelte Lächeln auf seinem Gesicht betrachten. Ich wünschte, er würde sich rasieren – allmählich sieht er aus wie eine Höhlenmalerei. Keiner hat ein Geschenk für Phil, aber wir beginnen eine neue Runde Kartenspiel. Ich sammle die Schokochips aus einem Stück Kuchen und gebe sie Dapper, der sie mit einem Haps verschlingt. Zack, Holly und ich setzen aus. Zack starrt mich an, bis ich ihn dabei erwische. Ich weiß nicht, warum er mich beobachtet, warum sein Blick so intensiv, so durchdringend ist.
    Der Kuchen ist alle und das erste Pokerspiel beendet, als es passiert.
    Ich habe kaum etwas davon mitbekommen, nicht wirklich, nur verschwommen, ein Brüllen und das Scheppern von Porzellan und Besteck. Als ich Holly aufschreien höre, denke ich zuerst, sie habe sich am Grill verbrannt, aber als ich mich umdrehe, um zu helfen, ist etwas um ihren Hals geschlungen, braun und schmutzig wie ein verrotteter Schal. Dapper will es anspringen, aber ich packe ihn im Nacken und zerre ihn zurück. Es ist kein Wiesel oder Fuchs, sondern ein Eichhörnchen, und als es von Holly ablässt, zieht es eine Blutspur hinter sich her. Ohne einen Gedanken habe ich die Axt in der Hand und jage hinterher, dränge das Ding in eine Ecke zwischen Couch und Schrank. Es lebt nicht, es ist nicht normal. Ich kann den feucht schimmernden Schädel durch das zerfetzte Fell auf seinem Kopf sehen. Beide Ohren fehlen, abgebissen. Die Axt trifft in der Mitte, teilt es sauber in zwei Hälften. Ich schlage auch den Kopf ab, nur um sicherzugehen.
    Zu viel Aufregung und zu viel Ablenkung. Ich hatte gar nicht wahrgenommen, dass das Fenster immer noch einen Spalt offen war.
    Ich erwarte mehr Gerede, mehr Geschrei, aber als ich zu den anderen zurückkehre, ist da nur Schweigen. Sie haben einen engen Kreis um das nach Atem ringende Mädchen auf dem Boden gebildet. Eine unbedeutende Kratzwunde an ihrem Hals. Nur ein kleiner Biss, ein kleiner Riss in der Haut, kaum größer als ein versehentlicher Kratzer mit dem Fingernagel, aber tief genug … Wir alle sehen das. Schon beginnen die Augen sich zu verändern, werden grünlich, ihre Haut verliert ihre gesunde rosa Farbe, direkt vor unseren Augen.
    Ted springt vor, hält sie fest, flüstert ihren Namen wieder und wieder. Ich strecke meine Hand aus, will ihn zurückziehen, um ihn davor zu bewahren, dass sie ihn mitnimmt. Aber noch ist nichts Wildes in ihr. Er steht auf und hilft ihr sanft auf die Füße. Holly sieht mich an, unsere Blicke treffen sich. Ich sehe tief in sie hinein und werde gewahr, wie ihr Blick aufhört mich zu erkennen, als das grausame Nichtwissen sich auf ihrem Gesicht ausbreitet wie eine Halloweenmaske. Wir öffnen den Kreis, und Ted verlässt ihn mit Holly, die hinkend an seiner Seite hängt. Ich kann sein Gesicht nicht sehen, er verbirgt es vor mir.
    Ich halte ihm die Axt hin. Er hat ein wenig Gewicht zugelegt. Da ist eine Härte in seinen Wangenknochen und ein eisernes, gerades Kinn. Ich kann es jetzt deutlich sehen. Er ist hier erwachsen geworden, genau hier, auf dem befleckten Teppich in einem geraubten Haus aus einem Leben, das wir nirgends mehr wiedererkennen.
    Ich will ihnen folgen, als sie zur Tür hinaus und in den Flur gehen. Die Tür schlägt mir ins Gesicht. Keiner von uns hat irgendetwas gesagt, nicht mal auf Wiedersehen. Für einen Augenblick überfällt mich die Furcht, dass Ted etwas Dummes tun wird, dass ich ihn nicht wiedersehe, oder – falls doch – es nicht er sein wird, sondern ein Ted, den ich vernichten muss. Fast möchte ich, dass er mich in die Arme nimmt und mir erklärt, alles sei in Ordnung, doch das ist es nicht … ich weiß, dass jetzt alles endgültig im Arsch ist.
    Dann höre ich dieses Geräusch. Es klingt wie ein umfallendes Fass, ein hohler Klang, gefolgt von einem schnellen, weichen Knirschen. Ich bin an der Tür, als ich es vernehme, meine Hände flach auf dem Holz, als könnten sie Teds letzten Moment des Friedens auffangen. Ich drehe mich zu den anderen um. Janette und Matt klammern sich aneinander, und Phil steht am Fenster, stiert es vorwurfsvoll an, als hätte es das Verbrechen begangen.
    Er hat das Richtige getan, schärfe ich mir ein. Er ist einer von uns. Er weiß, was getan werden muss.
    Dann ertönt ein Klang, den ich nicht erwartet habe, ein Schrei, ein Aufheulen, nicht der Trauer, sondern der

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