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Sie kommen!: Ein Blog vom Ende der Welt (German Edition)

Sie kommen!: Ein Blog vom Ende der Welt (German Edition)

Titel: Sie kommen!: Ein Blog vom Ende der Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeleine Roux
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beschlich mich die erste Vorahnung der Gefahr.
    »Sind noch irgendwelche sauberen Schüsseln übrig?«, frage ich Holly und wende mich vom Flur ab. Ich will nicht, dass sie sieht, wie aufgelöst ich bin, aber es ist schon zu spät.
    »Wir könnten erst mal ein Päuschen einlegen«, schlägt sie freundlich vor und rubbelt mir den Rücken.
    »Keine Chance, aller guten Dinge sind drei, oder?«, sage ich, krampfhaft um gute Laune bemüht. Wir schütten unseren letzten fehlgeschlagenen Versuch in eine Plastiktüte und wiegen erneut Zucker, Mehl und Salz ab. Als sie zwei Eier in eine Schüssel schlägt und ein paar Tassen Milch damit verrührt, sehe ich, wie ihre Hände zittern. Ich mache eine Art Glasur aus Milch und Puderzucker und stelle sie ans Fenster, um sie kühl zu halten. Aus dem Schlafzimmer kann ich das Radio hören. Ted hat es den ganzen Morgen angelassen, völlig fasziniert, geradezu besessen vom Hören. Sie haben angefangen Musik zu spielen. Mit Unterbrechungen, meist freundliche, harmlose Oldies. Keiner braucht im Augenblick The Cure .
    Eine Tür weiter spielen Phil, Matt und Janette Karten. Ich kann durch die Wand hören, wie sie lachen, fluchen und schlechte Blätter auf den Kaffeetisch knallen. In meiner Erinnerung ist dieser Klang ein wenig fern und wirr, wie ein laufender Fernseher in einem anderen Raum.
    Jeder ist bemüht, Phil bei gehobener Laune zu halten, ihn von dem Umstand abzulenken, dass er seinen Geburtstag in einem schäbigen, besetzten Apartment verbringt und bestenfalls Kuchen vom Hibachi isst. Vom Ende des Flures höre ich die Everly Brothers von Träumen hauchen. Holly und ich haben die Vorhänge in der Küche geöffnet, um etwas von dem trüben Licht hereinzulassen. Eine Drohung von Regen hängt in diesen Wolken, eine dunkle Schwere, die lange Schatten die Straße hinunterwirft.
    »Soll ich die ganze Tüte Schokochips nehmen?«
    »Hm? Ja, mach nur«, sage ich und wende mich Holly zu, die die offene Tüte fragend über die Rührschüssel hält. »Aber sei sparsam mit den Walnüssen.« Ted hat den Morgen damit verbracht, die Vorräte sorgfältig in geraden Reihen aufzubauen und in beschrifteten Kartons zu verstauen, sodass wir nun Mais, Bohnen und Früchte finden, ohne jedes Mal die ganze Speisekammer zu durchsuchen. Holly und ich stoßen beim Herumwerkeln ständig gegen die Kartons, und Dapper nervt wie gewöhnlich, indem er uns beim Backen ständig zwischen die Füße läuft.
    Zack stößt zu uns, um zu helfen. Dann gießen wir den Teig in eine tiefe Pfanne, bedecken sie mit Folie und stellen sie auf die weniger heiße Seite des Grills. Nach Zacks Theorie müsste die Hitze ausreichen, um den Teig zu backen, ohne den Zucker zu verbrennen; die Folie soll den Rauchgeschmack fernhalten. In der nächsten Stunde lüften wir ab und an die Folie und stechen mit einer Gabel in den Teig. Trotz größter Anstrengungen qualmt das verdammte Ding das ganze Wohnzimmer voll, und wir waten durch einen Dunst verbrannter Vanille.
    Im anderen Apartment riechen sie den Qualm auch und unternehmen einen halbherzigen Versuch, ihn draußen zu halten, indem sie mit Klebeband Zeitungspapier vor das Loch in der Wand kleben.
    Es gibt keine Geburtstagsdekoration, also kühlen wir den Kuchen ab und stellen um die Pfanne einen Ring von Kerzen. Der Kuchen ist an einer Seite ein bisschen schwarz auf der Oberfläche, aber die Mitte sieht gut aus.
    Janette und Matt bringen Phil herein. Wir singen »Happy Birthday« und drängen uns um die Wärme der Kerzen. Der Raum ist kälter als sonst. Deshalb fällt mir auf, dass das Küchenfenster weit offen steht. Jemand muss es geöffnet haben, damit der Rauch sich verziehen kann.
    Während wir singen, sehe ich, dass Holly den Tränen nahe ist. Gerade jetzt, im Nachhinein, ist dieser Eindruck eine der lebhaftesten Erinnerungen. Ihre Rührung greift auf mich über, aber ich unterdrücke diese Regung. Mir ist zu kalt, ich bin plötzlich zu ängstlich, um die Tiefe dieses Gefühls zuzulassen.
    Phil trommelt sich mit den Händen gegen die Brust. Sein fleckiges Poloshirt hat er gegen einen schweren Pullover mit Reißverschluss getauscht. Wir haben uns alle in Bettdecken gewickelt, wie eine Gruppe schlecht gekleideter Druiden halten wir unser trauriges und geheimnisvolles Ritual ab, singend und zitternd und überschwänglich im Kerzenlicht.
    Phil bekommt das erste Stück. Matt, dessen hängendes Basset- Gesicht regelrecht auflebt, ruft: »Eine Rede, eine Rede!« Dankenswerterweise

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