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Sie kommen!: Ein Blog vom Ende der Welt (German Edition)

Sie kommen!: Ein Blog vom Ende der Welt (German Edition)

Titel: Sie kommen!: Ein Blog vom Ende der Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeleine Roux
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Holzkopf«. Sie sind noch so jung, aber sie werden schon zu Kämpfern.

13. O KTOBER 2009 – K LEINKRIEGE
    Es kommen immer mehr von ihnen, alleine oder in Gruppen, benommen, betäubt vor sich hin starrend, während sie hereingebracht werden. Es ist schwer, nicht in ihre Gesichter zu schauen. Man sieht etwas Unbeschreibliches darin, den flüchtigen Ausdruck des Unglaubens, während sie aus der Kälte hereinkommen. Es fällt zunehmend schwer, sich Zeit zum Schreiben zu nehmen. Collin und Finn bestehen darauf, dass jeder einzelne Neuankömmling auf Bisse und Kratzer untersucht wird, auf irgendein Anzeichen dafür, dass er die Gefahr von draußen hereintragen könnte. Bis jetzt gab es keine Befunde. Ich kann mir nicht vorstellen, jemanden abweisen zu müssen, zu sagen, tut mir leid, ihr dürft nicht in Sicherheit sein.
    Aber Ted denkt, genau das müsste im Zweifelsfall passieren. Er hat sich heute frei genommen, sitzt schon den ganzen Nachmittag in unserem Zelt und kritzelt Kalkulationen in ein Notizbuch, sein zottiges Haar hängt tief über Brille und Nase. Grunzgeräusche der Frustration begleiten fanatisches Radieren, bevor er von vorn anfängt. Es ist schwer, den alten Ted in diesem neuen zu entdecken. Ich weiß, warum er so geworden ist – er brauchte eine Ablenkung, eine Tätigkeit, auf die er sich stürzen konnte. Holly, ihr Leben, ihr Tod sind ihm immer noch schrecklich gegenwärtig. Die vielfältige Arbeit – Leuten helfen, Wunden versorgen und Leiden lindern – hat ihn davor gerettet, eine lange und einsame Straße in die totale Verzweiflung zu beschreiten.
    Ich weiß, er will es mir nicht sagen, aber er ist offensichtlich wegen irgendetwas tief besorgt … Also muss ich fragen – und wünsche, ich hätte es nicht getan.
    »Es könnte alles sein. Wir haben nicht die Ausrüstung, um herauszufinden, wo es herkommt oder ob es sich um einen einmaligen Fall handelt …«
    »Wovon redest du überhaupt?«, frage ich. Ich kann hören, wie Evan und Mikey draußen vor dem Zelt Dapper jagen. Ihr Gelächter erhebt sich hell über das unverständliche Gebrabbel der Dörfler. Ich rücke näher an Ted heran und versuche einen Blick in sein Notizbuch zu werfen, doch er drückt die Seiten an seine Brust und verdeckt sie.
    »Es war nur William, dieser Hausmeister, und wir dachten, es könnte daran liegen, dass er alt ist. Aber jetzt ist da noch jemand, und ich bin sicher, morgen gibt es wieder einen und dann noch einen«, sagt er, wobei sich seine Augenbrauen in der Mitte seiner Nasenwurzel treffen. Er schüttelt sein zotteliges Haar, presst einen tiefen Seufzer durch zusammengebissene Zähne und schiebt seine Brille die Nase hoch. Ich mache mir langsam Sorgen, dass das Gestell demnächst unter all den Stößen des Missbrauchs zu Staub zerfällt. »Das Erbrechen, der Durchfall … Ich glaube, es könnten Giardien sein, vielleicht im Wasser. Das würde es erklären.«
    »Das Wasser? Stimmt etwas mit unserem Wasser nicht?«
    »Denk mal drüber nach«, sagt er. »Die sanitären Verhältnisse werden immer schlechter. Je mehr Leute wir hier zusammenpferchen, desto leichter kann sich etwas Ansteckendes ausbreiten. Und wenn nur eine Person, nur eine, hier reinkommt und infiziert ist, wirklich infiziert …«
    »Das ist unmöglich«, schnappe ich, »ich habe selbst geholfen, sie zu untersuchen. Uns wäre keiner entgangen.«
    »Und wenn es ein Tier ist? Was, wenn du sie nicht aufhalten kannst?«, fragt er. Er blickt mich mit glänzenden, weit geöffneten Augen an. Ich weiß, was er denkt, es brauchte nur einen kleinen Nager, um Holly zu töten.
    »Das wird nicht geschehen, Ted. Was Holly passiert ist … also, das war … das war nicht unser Fehler, sondern ein böser Zufall. Hier gibt es niemanden wie Zack. Niemand würde uns in Gefahr bringen«, sage ich und drücke sein Knie, um ihn daran zu erinnern, dass wir Freunde sind und er einen Kumpel hat. Er zuckt nicht direkt zusammen, aber ich sehe, wie seine Miene vereist.
    »Es war nicht Zack«, sagt er nach einer langen Pause. Jemand hat versucht, seine Brille zu reparieren. Ein Stück Pflaster klebt um beide Ränder. Darunter erkenne ich das Klebeband von früheren Behelfsreparaturen.
    »Was? Natürlich. Wer sonst sollte auf diese Art das Fenster offen gelassen haben?«
    »Ich. Ich war das.«
    Ich ziehe meine Hand weg und fühle seinen Blick über mein Gesicht gleiten. Ich hatte immer angenommen, Zack hätte das Fenster geöffnet und darauf gehofft, dass etwas Schlimmes passiert.

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