Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sie kommen!: Ein Blog vom Ende der Welt (German Edition)

Sie kommen!: Ein Blog vom Ende der Welt (German Edition)

Titel: Sie kommen!: Ein Blog vom Ende der Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeleine Roux
Vom Netzwerk:
er.
    »Es ist verrückt … Nein … es ist krass.«
    »Was denn nun?«
    »Sind Sie sicher, dass Sie es wissen wollen?«
    »Ja, absolut«, sagt er, während er mir hilft, die Bücher zu sichten. Bei Wie’s uns gefällt hält er inne.
    »Ich habe Ihnen eines Nachts zugehört, und Zack war bei mir. Ich glaube, damals war ich im Begriff … ich weiß nicht … mich in ihn zu verlieben oder so. Gott. Können Sie sich das vorstellen? Können Sie sich vorstellen, so idiotisch zu sein?«
    »Tatsächlich kann ich das.«
    Ich warte darauf, dass er mehr sagt, aber das war’s. Das ist alles, was er verraten will.
    »Tja, na ja«, sage ich, »halb so schlimm. Schließlich haben Sie ja keine Kleptomanin geheiratet wie Zack.«
    »Soweit ich weiß, nicht.« Er blickt fragend auf das Büchersortiment in meinen Händen. Ich setze mich ihm gegenüber, kann mich nicht entscheiden. Es sind zu viele gute.
    »Welches soll es nun sein?«
    Collin pfeift Let’s Go Fly A Kite, während ich eine Wahl zu treffen versuche. Das ist etwas, was er tut, wenn er ungeduldig wartet. Ich bin ein bisschen besoffen, also wähle ich Durrells Justine . Collin hinterfragt diese Entscheidung kurz mit einer gelüpften Augenbraue und nimmt mir dann den Band aus der Hand. Das ist ein Buch für eine Stimme, für die Ohren.
    »Ich frage gar nicht erst, wer das gerettet hat«, murmele ich und kuschle mich in den Sitz wie eine Perserkatze, die sich für ein ausgedehntes Nickerchen zurechtlegt.
    »Ich war das, falls das wichtig ist.«
    »Hedonist.«
    » Gauklerin .«
    »Oh!«, heule ich auf und spüre den Schnaps. »Der war gut.«
    »Kann ich anfangen, oder möchten Sie noch eine Weile flirten?«
    »Entschuldigung«, stammle ich erschrocken. »Bitte, fangen Sie an.«
    Ich entdecke eine herausgerissene Seite, die auf eine freie Stelle über dem Mischpult geklebt ist. Collin dreht ein paar Knöpfe, räuspert sich und schiebt den Stuhl näher ans Mikrofon. Dann beginnt er zu sprechen, langsam und bedächtig, mit seiner großartigen, rostigen, alten Stimme. Er liest von der aufgeklebten Seite ab.
    »Ich weiß nicht, wie viele zuhören oder wie viele da draußen immer noch verzweifelt versuchen zu überleben, aber ich möchte, dass Sie alle Folgendes erfahren: Es ist noch nicht alle Hoffnung verloren. Sie müssen irgendwohin, müssen sich irgendeine Zuflucht suchen. Es mag spät sein, und Sie mögen sich fürchten, haben vielleicht schon die Hoffnung aufgegeben, aber verzweifeln Sie nicht.« Hier legt er wieder eine Pause in dem vertrauten Sermon ein und blickt mich mit einem schwachen Lächeln an. »Gerade vor ein paar Tagen kam eine Frau zu uns. Sie ist auf dem Weg hierher dem Tod nur knapp entronnen, aber sie hat es geschafft. Sie hat unsere Sendung gehört und durchgehalten. Ich bin sehr dankbar, dass sie in einem Stück hier angekommen ist. Sie heißt Allison. Und um Allison und ihren Mut zu ehren, habe ich beschlossen, heute Abend aus einem Buch ihrer Wahl zu lesen. Also, liebe Zuhörer, schließen Sie die Augen, lassen Sie die Sorgen fahren, hören Sie zu, und bitte bedenken Sie: Sollte Ihnen das Buch nicht gefallen, es war nicht meine Wahl.«
    Ich werfe ihm einen grollenden Blick zu, hebe die Faust und drohe lautlos. Er kichert über meine Entrüstung. Dann räuspert er sich und nimmt sich einen kurzen Augenblick, um das offene Buch vor sich zu überfliegen. Der Raum rings um uns ist sehr dunkel, weich und ruhig, so ruhig, dass ich fast den dumpfen Schlag von Collins Herzen hören kann. Und dann, endlich, fängt er an zu lesen.
    Schon nach kurzer Zeit werde ich müde. Ich bin betrunken von Collins »Ruhestands«-Whiskey, eine exquisite Flasche, die er viele Jahre aufbewahrt hat und zum Antritt seines Ruhestands öffnen wollte. Dieser Tag wäre theoretisch zwar noch viele Jahre entfernt, aber er hatte es satt zu warten und entschied, ihn mit mir und Finn zu teilen. Das ist wahrscheinlich der teuerste Schnaps, den ich je getrunken habe. Als er sich seinen Weg durch meinen Körper brennt, spüre ich einen guten, befriedigenden Schmerz, wie der erste Sonnenbrand des Sommers. Ich fühle mich gewärmt und nostalgisch und bemerke, dass Collin mich über den dünnen Rand des Buches beobachtet.
    Irgendwie überträgt das Radio die Liebenswürdigkeit seiner Lesestimme nicht richtig. Es verzerrt sie, als ob all der Tod und die Hässlichkeit, die den Raum zwischen uns ausfüllen, sie angefressen haben, bis nur noch eine dünne Imitation ankommt. Aber selbst dann noch,

Weitere Kostenlose Bücher