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Sie kommen!: Ein Blog vom Ende der Welt (German Edition)

Sie kommen!: Ein Blog vom Ende der Welt (German Edition)

Titel: Sie kommen!: Ein Blog vom Ende der Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeleine Roux
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Ich weiß nicht, wo ich hinschauen soll, aber ich halte meinen Blick fest auf den Krieger gerichtet, auf den hohen Bronzehelm mit dem Federkamm und die braungrünen Augen, die mich darunter fixieren.
    »Bin ich in der Zeit zurückgegangen?«
    »Das würde ich nicht annehmen«, sagt er. »Es ist nicht ungewöhnlich, wenn ein zweifelnder Krieger von einem Schwertführer besucht wird. Ich selbst habe mit der Göttin Athene gesprochen, und sie wacht in ihrer unergründlichen Weisheit weiterhin über mich.«
    »Athene? Das ist Hardcore.«
    »Was bitte?«
    Aber ich habe keine Chance zu antworten, nicht jetzt. Die Rauchwand bricht plötzlich auf, und ein Strom von Soldaten rauscht auf uns zu. Sie rennen den schrägen Damm vor der Mauer herunter. Im Vergleich zu den Kriegern wirken diese Typen fast vertraut, beruhigend – die fleischlosen Knöchel, die zerfetzten Gesichter und das keuchende Gestöhne: eindeutig Untote. Dutzende von ihnen watscheln in Rüstungen auf uns zu. Ihre Bronzehelme hüpfen auf den Resten ihrer Köpfe herum, ihre Panzer hängen in merkwürdigen Winkeln und passen nicht mehr auf die verwesten Schultern und Torsos. Als sie näher heranrücken, drückt mir der Krieger an meiner Seite etwas in die Hand. Es hat fast denselben Griff wie eine Axt, aber es ist ein Schwert, lang und rasiermesserscharf.
    »Sind das trojanische Zombies?«, frage ich und mache einen strategischen Schritt rückwärts. Er kann die ersten nehmen, schließlich sieht er kompetent genug aus.
    »Es hat ganz den Anschein«, sagt er und hebt seinen Schild ein wenig.
    »Bin ich betrunken?«
    Für einen kurzen Moment mustert er mich genau, blinzelnd über dem bronzenen Nasenstück seines Helmes. »Wahrscheinlich.«
    Er führt einen schnellen, kunstfertigen Hieb gegen den ersten Soldaten und trennt ihm sauber den Kopf ab. Wie ein Schlachter, der seine täglichen Aufgaben bewältigt, ein Mann, erfahren aber nicht besessen, haut er Soldat nach Soldat um, mäht die ganze Reihe mit blitzschneller Präzision nieder.
    »Du bist schnell für einen alten Knacker.«
    »Fünfundvierzig!«, brüllt er während einer weiteren Enthauptung, »und stark wie ein Ochse.«
    »Das kommt von dem vielen Olivenöl, nehme ich an … Und wenn man den ganzen Tag diesen Schild herumschleppen muss. Achtung, von links!«
    Er wirbelt herum, teilt den herankommenden Zombie an der Hüfte in zwei Hälften und drischt den Schild mit einer schnellen Drehung in den direkt nachfolgenden.
    »Danke, kleiner Mensch. Wie wär’s mit etwas Hilfe, wenn’s beliebt?«
    »Jederzeit«, entgegne ich und schwinge probeweise das Schwert. Es ist schwerer als meine Axt, aber die Klinge und das Heft haben eine schöne Balance. Es sind nur noch ein paar Nachzügler übrig, aber als sie fallen und in den befleckten Dünen zusammenbrechen, bin ich schon außer Atem. Der Krieger geht ein paar Schritte vorwärts und senkt seinen Schild. Stille, doch der unruhige Rauch, der sich da vorne zusammenballt, verrät mir, dass es noch nicht vorbei ist. Ich betrachte seine Fußspuren im Sand neben meinen.
    »Himmel, du bist riesig.« Mein nackter Fuß nimmt gerade ein Viertel seines Sandalenabdrucks ein. Ich stelle meinen Fuß hinein wie ein Kind, das seine Babyzehen in die Puschen seines Vaters steckt.
    »Vielleicht aber, merkwürdige Zukunftsfrau«, sagt er und lacht mit dem dröhnenden Bass eines Donners, »bist du auch einfach sehr klein.«
    »Ich weiß schon, ich werde es bereuen, gefragt zu haben, aber wer bist du?« Das Verlangen, sein Gesicht zu sehen und ihn vielleicht zu erkennen, bringt mich ein paar Schritte näher heran. Sein schwerer Umhang hatte wohl einst die Farbe frischer Sahne, aber jetzt ist er abgerissen und zerlumpt, die Muster an den Rändern bedeckt von einer körnigen Kruste aus Sand und Blut. Der Krieger hebt den Arm und nimmt den schweren Bronzehelm vom Kopf. Als er sich mir zuwendet, trifft mich schlagartig die Erkenntnis. Des Königs Gesicht ist lang, verwittert und mit tiefen Narben bedeckt, mit einer herrschaftlichen Nase, die anscheinend mehrfach gebrochen und gerichtet worden ist. Dunkle, fedrige Wimpern umgeben die grünbraunen Augen.
    »Odysseus«, sagt er freundlich und sieht mich dabei an, als ob das ganz offensichtlich wäre, »König von Ithaka.«
    Das Verlangen, gleichzeitig zu vergehen und mir in die Hosen zu machen, ist erdrückend, aber auch das, mir ein flüchtiges Iota Würde zu bewahren. Ich halluziniere, und zwar heftig, und das muss einen Grund haben. Mein

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