Sie kommen!: Ein Blog vom Ende der Welt (German Edition)
Gefühl. Bald begreife ich, dass ich mich daran gewöhnen muss: die Trostlosigkeit eines Insassen, der auf sein Gefängnis beschränkt ist.
Und ich muss mich bei euch allen für die große Lücke im Bericht entschuldigen. Ich wollte euch nicht in Sorge versetzen. Es gibt einen guten Grund für das Fehlende. Schön, vielleicht keinen »guten« Grund im eigentlichen Sinne des Wortes … Ich versuche, die Ereignisse der letzten Woche in allen Einzelheiten klar zu beschreiben, aber manches ist für immer verloren, der Erinnerung entkommen, und das hat nichts mit abgelaufenen Medikamenten zu tun.
Wie ihr euch vorstellen könnt, hat die Ankunft von Collins Frau einen kleinen Knüppel in die Speichen meiner Pläne für ein normales Leben geworfen. Welche Verheerungen auch bisher unsere Überlebenden heimgesucht haben. Seit der Ankunft seiner Frau Lydia und ihrer Gefährten hat sich die Situation zugespitzt. Ein zusammengewürfelter Haufen ohne wirkliche Beziehung zueinander – ein Rechtsanwalt, ein Gärtner, ein Wirtschaftsprüfer –, verbunden nur durch das gemeinsame Ziel, lange genug zu überleben, um den Campus und die Arena zu erreichen. Sie haben auch die Meldung im Radio gehört und das Schlimmste befürchtet, als die Übertragung ausblieb. Ohne Lydia und ihre verbissene Ausdauer wären sie wahrscheinlich nie angekommen.
Lydia ist eine große, üppige Amazone mit pfeilglattem silbernem Haar und einem offenen, künstlerisch edlen Gesicht. Das Erste, was mir in den Sinn kam, als ich sie sah, war »zu viel« – zu viel Haar, zu viel Frau, zu viel Eis. Sie erinnerte mich an einen wohl gerundeten Schneemann mit dünnem, geraden Mund und einem blanken Bettlaken aus dicken Haaren.
Ich versuchte, nicht schlecht von ihr zu denken – wirklich. Ich habe versucht, objektiv zu bleiben, aber Objektivität ist in diesem Fall völlig unmöglich. Entweder spürt sie, dass zwischen mir und Collin etwas war, oder sie kann mich generell nicht leiden. Habe ich erwähnt, dass die Macht auch mit den Sith ist?
Unser erstes Zusammentreffen war unbeholfen und gezwungen und, glücklicherweise, weit weg von Collin. Von allen verantwortlichen Personen nahm Lydia prompt mich aufs Korn. Sie entdeckte mich, als ich gerade mit einer Hand voll Gemahlinnen der schwarzen Erde diskutierte, die wieder mal gegen Collins Führerschaft aufbegehrten.
»Hallo«, sagte sie und schob sich dabei mit einer Hand das vor den Augen hängende Haar aus dem Gesicht. Ich schätze, sie ist etwa so alt wie Collin. Sie spricht irgendwie theatralisch, verleiht jedem ihrer Worte gleichermaßen melodisches Gewicht, mit einem beinahe unverständlichen, wässrigen Akzent von Gott weiß woher.
»Hey«, erwiderte ich und hoffte, ich klang so besorgt, wie ich mich fühlte.
»Du musst Allison sein.«
»Ja, das bin ich. Tut mir leid, ich hab hier gerade viel zu tun.«
Das schien sie nicht zu kümmern. Sie blieb neben mir stehen und betrachtete mich mit kaltem, unergründlichem Blick, die Hände in die Hüften gestemmt. Mit erhobenem Kopf und schrägem Blick musterte sie mich von Kopf bis Fuß. Ned kam herüber, um mir beizustehen. Ohne dass ich ein Wort sagen musste, trat er vor die Gemahlinnen und versuchte, mit ihnen zu verhandeln. Sie verlangten mehr Essen, mehr Kleidung, mehr, mehr, mehr. Er hat so eine Art, sie zu beschwichtigen und für ein, zwei Tage zur Ruhe zu bringen. Meist erliegen sie kollektiv seinem Charme, seiner gelassenen Persönlichkeit und seinen Blicken, aber mir scheinen sie uneingeschränkt zu misstrauen.
»Ist das Ned?«, fragte Lydia, als ich mich anschickte zu gehen. Ich fand, es sei das Beste, Ned das Feld zu überlassen. Außerdem gab es drüben bei den Esstischen jede Menge Dosen zu öffnen. Eine der Gemahlinnen streckte ein selbstgebasteltes Kreuz vor sich aus, und Ned senkte behutsam ihr Handgelenk, um die Eisstiele nicht ins Gesicht zu bekommen.
»Ja. Er ist hier eine große Hilfe und ein guter Freund.«
»Hm, aus der Entfernung wirkt er größer.«
»Tja, er ist nicht gerade der Koloss von Rhodos, aber aus Ihrer luftigen Höhe wirkt wohl fast jeder wie ein Liliputaner.« Schluck, nicht mein bester Auftritt. Ich erwartete nicht, dass Lydia mir antworten würde, aber das Leben ist voller unangenehmer Überraschungen.
»Ich habe mich für Swift nie wirklich begeistern können.«
»Tja, falls er sich plötzlich auch aus dem Grab erhebt, werde ich ihn das wissen lassen.«
Hier endetet das Gespräch. Ich kann mich nicht dazu bringen,
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