Sie kommen!: Ein Blog vom Ende der Welt (German Edition)
erscheint nicht. Er wirkt entspannt in meiner Nähe, sein zerfurchtes Gesicht strahlt etwas Friedvolles aus. Nach kurzem Schweigen fährt er fort: »Aber andererseits wäre ich dir dann nie begegnet. Das Leben wäre weitergegangen wie immer – ruhig, kompliziert, wie wir eben auf menschliche Art alles komplizieren. Wir würden uns nie getroffen haben. Verrückt, nicht wahr? Ich kann mir nicht vorstellen, ohne dich zu leben.«
»Das ist nicht verrückt«, entgegne ich. »Das ist toll.«
Es gibt keinen Grund mehr, beim Üben Ziele zu verwenden. Stattdessen führt Collin mich an den Rand des Zauns, und ich feuere auf die Dümpler, die im Nebel herumwandern. Ich werde besser beim Treffen beweglicher Ziele, aber Neds und Collins Professionalität beschämt mich nach wie vor. Ich schieße einem Stöhner ein Ohr ab, der die brillante Idee hatte, sich an unserem Zaun zu versuchen.
»Oh Liebling«, sagt Collin mit seinem geradezu schnittigen Akzent, »ich könnte dir den ganzen Tag beim Zombieschießen zusehen.« Er legt den Arm um mich und drückt mich an seine Seite. Durch die kugelsichere Weste spüre ich seine Wärme. »Du machst Fortschritte«, fügt er hinzu, »und zwar große. Du wirst – darf ich wagen, es zu sagen? – eine Kunstschützin. Ich werde dich bald am Sturmgewehr ausbilden müssen.«
»Du bis so süß«, antworte ich errötend. »Süß, aber total auf dem Holzweg.«
»Der Rest kommt schon noch«, meint er. »Wenn du erst gelernt hast, sie nicht mehr als Menschen zu sehen, sondern als das, was sie wirklich sind.«
»Tut mir leid, aber eine Axt fühlt sich irgendwie humaner an. Wenigstens kann ich ihnen auf diese Art Frieden geben und ihnen in die Augen sehen, wenn ich sie töte.«
»Entschuldige dich nicht dafür«, sagt er und küsst mich auf die Stirn.
Ich weiß nicht, wie lange wir in der Stille stehen und nur die Schatten beobachten, die außerhalb der Grenze unserer Verteidigungsanlagen herumschleichen. »Glaubst du«, frage ich leise, »dass jemand für all das verantwortlich ist?«
»Wie meinst du das?«
»Glaubst du, dass es vielleicht irgendwo einen Wissenschaftler gibt, der dies alles in Gang gesetzt hat? Wenn es kein Experiment war und kein Waffentest, was sonst könnte das ausgelöst haben?« Ich gestikuliere wild. Es ist zu kalt für eine lange philosophische Debatte, aber meine Glieder ertragen noch eine Minute oder zwei.
»Wenn es 1982 wäre, hätte ich die Russen im Verdacht«, erwidert er. Er scheint noch mehr sagen zu wollen und überdenkt seine nächste Äußerung, während seine grünen Augen mein Gesicht fixieren. Sie brennen sich regelrecht durch mich hindurch. »Wer immer dafür verantwortlich ist«, sagt er schließlich, »ist wahrscheinlich längst tot.«
Ich nicke. »Ich glaube, ich will es auch gar nicht wissen.«
»Sicher?«
»Sicher. Ich weiß nicht, ob ich weiter so hart kämpfen könnte, in dem Bewusstsein, dass ein einziger Mensch an all dem schuld ist. Das wäre zu viel konzentriert Böses, um es noch verstehen zu können.«
Collin küsst mich wieder auf den Kopf und lächelt ein wenig traurig. Unmöglich zu sagen, aber aus dem merkwürdigen Schimmer in seinen Augen schließe ich, dass ich in diesem Moment in seiner Achtung gestiegen bin. »Komm, deine Ohren frieren ab. Lass uns reingehen.«
Es klingt vielleicht wie ein Klischee, aber dies ist, mit aller Aufrichtigkeit, der glücklichste Moment, den ich in vielen, vielen elenden Tagen hatte. Alles scheint sich in Richtung Frieden zu entwickeln. Und dies ist der Tag, an dem ich mich ihm am nächsten fühle, an dem es wirklich aufhört, sich schräg anzufühlen, und es anfängt, normal zu scheinen, so natürlich und so verdammt schön . Und dies ist der Tag, an dem ich sicher bin, dass ich etwas haben werde, was es zu retten lohnt, etwas Greifbares, um daran festzuhalten, selbst wenn die Gemahlinnen ihren Willen bekommen und unser Village aus den Nähten platzt. Und dies ist der Tag, an dem Ted ein Stück vorankommt und endlich glaubt, dass es einen Weg gibt, die Krankheit zu heilen, einen Weg für uns, ein bisschen länger durchzuhalten.
Und dies ist der Tag, an dem – ohne Vorwarnung, gleichsam wie ein Zwanzigtonner, der ungebremst über eine rote Ampel donnert – eine weitere Gruppe von Überlebenden eintrifft, und mit ihnen, humpelnd und hungrig, aber unverkennbar lebendig, Collins Frau Lydia.
KOMMENTARE
Elizabeth:
19. Oktober 2009 16:46 Uhr
Auf dem Ozean schläft fast alles. Gelegentlich laufen
Weitere Kostenlose Bücher